Menschliche Natur und Heiligkeit Teil II

8. Juli 2023

Großfürstin Elisabeth Feodorowna

Elisabeth Feodorowna wurde im lutherischen Glauben erzogen und so auch in Russland anerkannt, geschützt durch die Liebe ihres Gatten Sergej Alexandrowitsch und die soziale Stellung der kaiserlichen Familie. Die Großfürstin konnte frei und zwanglos auf das russische kirchliche Leben blicken, wie von außen, durch die Augen eines interessierten Ausländers. Darin besteht eine Ähnlichkeit mit der Glaubenswahl durch die Gesandten von Großfürst Wladimir. Für eine Weltreligion existieren keine nationalen Grenzen. Viele Menschen aus deutschen Landen kamen auf der Suche nach ihrem Glück nach Russland und fanden dann die Wege und Bedeutungen des geistlichen Lebens. Man kann zum Beispiel Isidor von Rostow nennen, der bekannt wurde als Narr in Christo.

Die Annahme der Orthodoxie durch Elisabeth Feodorowna und damit verbunden der Grundlagen einer neuen nationalen Kultur erfolgte nach sechs Jahren Ehe.

Elisabeth Feodorowna mit ihrem Ehemann

Im menschlichen Leben erweist es sich als schwierig, der häuslichen Vergangenheit zu entwachsen. Aber noch für eine lange Zeit wird die Sehnsucht nach Darmstadt bleiben, der Wunsch, verwundeten deutschen Soldaten zu helfen, was sehr an die Situation des Hl. Nikolaj von Japan erinnert. Aber der Unwille, Russland zu verlassen, wenn die eigenen Staatsangehörigen aus ihm fliehen, während das Land dem Abgrund entgegenging, bedeutete eine große Liebe zum russischen Volk, vergleichbar jener zu kranken Kindern, bzw. etwas noch Höherem, Übernatürlichem, die Bereitschaft zum Märtyrertod.

Ähnlich kann man die Weigerung der Nonne Barbara (Jakowlewa), die mit ihr inhaftierte Vorsteherin zu verlassen, betrachten.

Elisabeth Feodorowna hatte Russland von Anfang an geliebt, für seine schlichte Unermesslichkeit, die Einfachheit seiner Lebensweise, seine orthodoxen Kirchen und Klöster.

Sie bereiste die alten Städte Russlands, Jaroslawl, Rostow und Uglitsch. Für ihre geistliche Reifung erlangten viele heilige Stätten Russlands Bedeutung, so zum Beispiel der Moskauer Kreml, die Dreifaltigkeits-Sergej-Lawra, Sarow, Optina Pustyn. Später sagte sie, dass das Wesen des christlichen Glaubens am besten in der Orthodoxie ausgedrückt wird und dass das heilige Russland niemals untergehen wird, auch wenn Großrussland nicht mehr existiert. Man muss ein gutwilliger Ausländer sein, um die bewahrende Gnade des russischen Landes zu spüren. Es ist kein Zufall, dass der Hass der Zerstörer sich nicht nur gegen das gesamte Haus der Romanows, sondern auch gegen die Kirchen richtete, trotz ihrer herausragenden Architektur. Russlands wichtigste strategische Ressource war und bleibt das "Gold der Seele". Im Leben von Elisabeth Feodorowna geschahen in Russland viele wundersame und “zufällige” Dinge.

Ikone der Heiligen Elisabeth

Laut dem Hl. Gregorios Palamas kann man Gott näher kommen, indem man über sich hinaus wächst. Das Individuelle ist sowohl in der Erinnerung des Menschen als auch Gottes in der Persönlichkeitsstruktur absolut unauslöschlich. Das sind einerseits Spuren des Ringens mit sich selbst, mit den Lebensumständen und andererseits das Zufallsprinzip. Isaak der Syrer bemerkte, dass das Zufällige eine Ergänzung des menschlichen Wesens ist, das schöpferische Einwirken Gottes auf den Menschen. Dem Zufall folgt immer eine Veränderung. Es bleibt nur dem menschlichen Willen, es anzunehmen oder abzulehnen. Das Maß der Askese ist immer individuell, sagt Ignatij Brijantschaninow.

Das Wirken der Lebensumstände ernüchtert den Menschen, macht deutlich, dass sein Leben unter den beschränkten Bedingungen des irdischen Daseins nicht stattfinden kann. Es liegt in seinem freien Willen und Entschluss, das alte Kleid abzuwerfen und durch die enge Pforte des Lebens zu gehen. Das Individuelle betont die Wichtigkeit, die Vielfalt der Heilswege zu erkennen. „Es gibt viele Wohnungen im Haus meines Vaters“, steht im Evangelium geschrieben. Laut dem Apostel Paulus hat Gott uns erwählt, um uns zu erlösen. Im Individuellen ist sowohl die Idee der Erlösung als auch die Idee des Auserwähltseins enthalten.

In der Person von Großfürstin Elisabeth Feodorowna eröffnen sich uns die geistlichen Möglichkeiten von Frauen in der Orthodoxie, weit entfernt von Emanzipation und exzessiver Sinnlichkeit. Scheinbar dazu bestimmt, ihr Familienglück zu bewahren, wurde sie zur „Lilie auf dem geistlichen Feld“, und zeigte allen, dass es in Christus weder Mann noch Frau gibt. Unter Martyrium verstanden die heiligen Väter die freie Entscheidung zugunsten des Guten mit für den persönlichen Egoismus unerträglichsten Folgen. Sie folgte Christus nach, ohne zurückzublicken, wie die Salben tragende Frauen, wie die heilige Maria Magdalena, deren heiliger Name ihren Lebensweg von Darmstadt nach Jerusalem umrahmte.

Großfürstin Elisabeth Feodorowna äußerte einmal: "Wir Frauen vermögen, alles zu tun." Sie war einfühlsam zu allen, half Bedürftigen, ging mit fremden Bitten zum Zar, bemühte sich um Staatsangelegenheiten, wenn die Minister selbst es nicht wagten. Die Tragödie vom 18. Februar 1905, die sich auf dem Platz vor dem Nikolajewski-Palast abspielte, setzte ihrem Familienglück ein Ende. Was da passiert ist, hätte selbst den Stärksten umwerfen können. Was sie an diesem Tag bei den Überresten ihres Mannes durchmachen musste, ist schwer zu vergleichen. Woher kamen diese übermenschlichen Kräfte in jenen Tagen und Nächten, als sie sich vor dem Mörder erniedrigte, der ihr alles genommen hatte.

Prinzessin Elisabeth

Die einsame Figur der Klostervorsteherin vor den unverschlossenen Toren des Martha-Maria-Kloster in den Tagen des Umsturzes, die aufgehetzte zügellose Menge befriedend, erinnert an das Bild des frühen Christentums, wenn die Erscheinung göttlicher Gnade in Gestalt eines Bischof die Hand eines Barbaren oder Heiden aufhielt. Ihr Besuch in den Spelunken des Chitrowa-Marktes spricht von ihrem erstaunlichen Mut und ihrer Furchtlosigkeit.

Der Hl. Johannes Chrysostomos bemerkte, dass die von der Sünde beschädigte menschliche Natur, die ihre innere Quelle der Entwicklung verloren hat, versucht sich mit Hilfe von anderen Mitteln unterschiedlichster Art zu entwickeln: Ehrungen, soziale Ränge, Reichtum. Großfürstin Elizabeth gehörte zur höchsten Elite des russischen Adels mit praktisch unbegrenzten Handlungsmöglichkeiten.Scheinbare Vorteile erhöhen oft das Leiden. Laut dem Hl. Gregorios von Nyssa sind Demut und Sanftmut die Grenzsteine der Entwicklung der menschlichen Natur.

Es ist keine kaiserliche Aufgabe, einen Schwerkranken zu pflegen, die eiternden Wunden von betrunkenen Raufbolden zu verbinden. Die Dorfschule in Alapaevsk offenbarte endgültig ihren Charakter. Hier sehen wir kein sentimentales oder nostalgisches Gemälde vom Typ “Die Kaiserlichen in der Verbannung”. Ihrer bürgerlichen Rechte beraubt, erniedrigt und gedemütigt, bewahrte sie ihre Ehre und folgt nicht den Menschen in ihrer Bosheit. Es gibt weder Tropfen der Niedergeschlagenheit, noch Zeichen zerschmetterter Hoffnungen. Sie schufen mit eigenen Händen auf dem umzäunten Gelände einen kleinen Garten.

Somit kann sogar das sichtbare Leben von Elisabeth Feodorowna für Zeitgenossen als Lehre und Beispiel für den edlen Dienst an Russland und seinen Menschen dienen. Als Frucht ihres irdischen Lebens und ihrer Leiden erwarb sie Heiligkeit. Glaube verwandelte sie ein persönliches Glaubenszeugnis. Mit den Worten von Ignatij Brijantschaninow gab es kein "zusammengesetztes Gesicht". Das Sichtbare und das Geheime stimmten bei ihr überein. Vielleicht waren ihre nicht erfolgreichen Fotografien ein Vorzeichen dafür, um das beste Bild ihres Gesichts zu erhalten.

Ikone der Hl Elisabeth

Das Wichtigste, woran man sich erinnern sollte, wenn man über Elisabeth Fedorowna spricht, ist, dass der Nerv ihres Lebens darin bestand, im Kloster zu leben. Schon in ihrer Jugend sprach sie viel über Gott und vollbrachte Werke der Barmherzigkeit. Die Heiligen Väter schreiben über die Bedeutung der äußeren Tugend, denn im Evangelium wird gesagt: „Ich war nackt und du hast mich bekleidet; ich war hungrig und du hast mich gespeist." Aber höher einzuschätzen, ist die Askese der inneren Tugend, wenn jemand nicht seinen Überfluss teilt, sondern seine Bedürfnisse einschränkt. Darin zeigt sich deutlicher das geistige Opfer an Gott. So schreibt der Hl. Gregorios von Nyssa, nicht nur der Mensch nimmt Anteil an Gott im Mysterium der Eucharistie, sondern auch Gott am Menschen und Jesus Christus bekleidet ihn im Haus seiner Seele mit einem reinen Gewissen. In ihrer Uneigennützigkeit gab sie der Staatskasse die Geschenke zurück und finanzierte auf eigene Kosten das Martha-Maria-Kloster. Im Gefängniswaggon hatte sie nicht einmal einen Becher für das Wasser.

Unmittelbar nach der Annahme der Orthodoxie begann sie das Jesusgebet zu praktizieren, worüber sie ihrem Bruder Ernst berichtete. Von der äußeren zur inneren geistigen Betrachtung gelangen, von Martha zu Maria, plante sie zur Stärkung des Klosters ein zurückgezogenes Leben zu führen. In den letzten Tagen im Kloster war sie außerordentlich still und schweigsam. Schweigend hörte sie den Leuten zu und tröstete sie mit einem einzigen Blick. Ausgestattet mit einem starken Willen und Entschlossenheit als die höchsten persönlichen Eigenschaften folgte Elisabeth Feodorowna ehrlich und kompromisslos Christus gemäß der Gebote des Evangeliums nach.

Vor ihrem Tod betete sie wie Er für die Mörder: „Gott vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun." Aus dem Schacht erhob sich zu deren Entsetzen unter dem Rauch der Granaten ihre Stimme des Gebets. Durch die unmittelbare Nachahmung Seiner selbst gewährte ihr der Herr die Märtyrerkrone.

Ikone der Ermordung der Hl Elisabeth

„Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich.“ (Mt 5,10).

Wir finden bei Gregorios von Nyssa, dass die Peiniger die Märtyrer um Christi willen aus der dunklen Welt der Sünde vertreiben. Derjenige, der die Sünde begeht, ist ein Sklave der Sünde (Joh 8,34). Wer keine Sünde mehr begeht, ist frei durch Tugend. Die höchste Form der Freiheit ist die Autokratie. Wem die Sünde fremd ist, nennt sich Alleinherrscher. Die Vertreibung aus der Welt des Bösen verleiht ihm kaiserliche Würde. Elisabeth Feodorowna wurde, indem sie den Tod besiegte, wirklich zur Großfürstin, eine Heilige, eine ehrwürdige Märtyrerin-Nonne, die für Russland, für die Welt betet. Ein Heiliger ist nicht nur ein die Welt umfassendes Phänomen, sondern sogar ein kosmisches. Die Größenordnung der Persönlichkeit von Großfürstin Elisabeth, die vor nicht allzu langer Zeit lebte, ist überraschend beeindruckend.

Quelle: A. G. Schustrow - Großfürstin Elisabeth Feodorowna: menschliche Natur und Heiligkeit (Übersetzung aus dem Russischen)

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