Über Stolz und Demut

4. Februar 2023

Archimandrit Kirill Pawlow

Im Herrn geliebte Brüder und Schwestern, es nähert sich der Beginn der Großen Fastenzeit, einer Periode besonders gesegneter Tage, in denen wir alle aufgerufen sind, mit besonderer Sorgfalt an der Reinigung unserer Seelen von der Sünde zu arbeiten und diese Zeit in Reue, Gebet und Fasten zu verbringen.

Die Heilige Kirche, die sich um unsere Erlösung sorgt, bereitet uns schrittweise auf diese Fastenzeit vor durch ihre Hymnen und Lesungen, mit denen sie uns zur heilsamen und erlösenden Askese führt. Sie lehrt uns, wie wir beten und Reue zeigen sollen, um vom Herrn die Vergebung unserer Sünden zu erhalten.

Die heutige Evangelienlesung lenkt unsere Aufmerksamkeit auf das Gleichnis vom Zöllner und vom Pharisäer (Lk 18,9-14).

Dieses Gleichnis besitzt für uns Christen eine große Bedeutung. Es zeigt mit aller Deutlichkeit, wovor wir uns in Acht nehmen, was wir meiden und wonach wir streben sollten, damit unsere Umkehr erlösend und heilsam für unser moralisches Leben sein kann. Liebe Brüder und Schwestern, der Stolz des Pharisäers ist ein Laster, das in unserem moralischen Leben zu allen Zeiten zugegen war. So ist es auch jetzt unter uns gegenwärtig. Der Stolz des Pharisäers zeigt sich insbesondere im Gebet durch das Vergessen seiner Abhängigkeit von Gott. Er vergaß, dass er wie alle Menschen nur Erde und Staub ist (Gen 18, 27) und dass nur Gott, der allein den moralischen Zustand eines jeden Menschen kennt, die Vorzüge und Mängel eines jeden juristisch bewerten kann. Von seinem Stolz geblendet, kann der Pharisäer seine Nichtigkeit vor der Erhabenheit Gottes nicht anerkennen und besitzt so keine Kenntnis von der sündigen Verderbtheit, die allen Menschen zu eigen ist. …

Stolz als Laster rühmt den Menschen selbst und lässt ihn nicht zu der Einsicht gelangen, dass er vollständig von Gott abhängig ist, macht ihn unfähig, das Gesetz Gottes zu erfüllen. “Ihr werdet wie Götter sein” (Gen 3,3) sagte der Teufel zu unseren Urahnen im Paradies und damit zerstörte er ihre Seelen. Der Mensch muss Gott stets als Allmächtigen und Allherrscher anerkennen und sich selbst als unbedeutend und komplett von Gott abhängig. Er soll ständig daran denken, dass er ohne Gott nichts Gutes tun kann. Denn auch wenn ihm etwas Gutes gelingt, dann sollte er es nicht sich selbst anrechnen, sondern es Gott geschuldet sein lassen. Dass der Pharisäer zu Gott betet, zeugt davon, dass er sich Gott unterordnet. Aber dies ist nur Schein. Das Erkennen der Abhängigkeit von Gott gleitet nur durch die Seele des Pharisäers, es erscheint als etwas Vorübergehendes, denn der eigentliche Gegenstand seines Gebetes ist er selbst. Er benutzt das Gebet nicht zum Lobpreis Gottes, sondern nur dafür seine guten Taten aufzuzählen, als ob nur er allein sie besäße. Darum verurteilt der Herr sein Gebet als eitel und sündig. Derselbe Pharisäer wagte es, seinen Bruder zu verurteilen, jemand, wie er selbst, vor dem Antlitz des barmherzigen Gottes, der in einem Augenblick aus einem Sünder einen Gerechten erschaffen kann. Der Stolz des Pharisäers zeigte sich in der rücksichtslosen Verurteilung seiner Nächsten, im Bekenntnis seiner moralischen Überlegenheit und dem Hervorheben dieser Überlegenheit. Schauen Sie sich an, wie er wirklich auf andere Menschen sieht. Er hält alle für Räuber, Betrüger, Ehebrecher. Nur er allein ist rein und kann als Beispiel moralischer Vollkommenheit dienen. Wenn er nicht wäre, gäbe es auch kein Reich des Guten unter den Menschen. Welch maßlos übertriebene Vorstellung von den eigenen Vorzügen und welch unverschämte Anmaßung des Rechts, andere zu richten! Aber vielleicht stand der Pharisäer tatsächlich so hoch in moralischer Hinsicht, weshalb er so streng und rücksichtslos urteilen und über andere richten konnte. Nein, ein Mensch, der tatsächlich moralische Vorzüge besitzt, wird sich niemals das Recht nehmen, andere Menschen vor dem Angesicht Gottes verurteilen. Im Gegenteil, je höher ein Mensch in moralischer Hinsicht steht, desto eher erkennt er seine eigene moralische Nichtigkeit. Es ist augenscheinlich, dass der Pharisäer so streng war, weil er selbst nicht weit oben auf der Leiter der moralischen Vollkommenheit stand. Man muss sich mit allen Mitteln vor dem Geist des Stolzes und der Eitelkeit des Pharisäers bewahren, die in den unterschiedlichsten Formen auftreten können.

Der Herr hat das Gebet des stolzen Pharisäers verworfen, aber das demütige Gebet des reuigen Zöllners hat er angenommen und ihn gerechtfertigt. Der Zöllner stand weit hinten, traute sich nicht, die Augen zum Himmel zu erheben, schlug sich an die Brust und sprach: “Gott, sei mir Sünder gnädig!” (Lk 18,13). Er versucht nicht, sich zu rechtfertigen, redet seine Sünden nicht klein, sagt nicht: “Schau, Herr, auf meine Schwäche, auf die Versuchungen und Verführungen, die mich im Leben umgeben und die mich nicht schuldlos sein lassen.” Sondern er sagt: “Ich bin ein Sünder, erbarme Dich meiner. Es gibt nichts Gutes in mir, es ist auch nichts Gutes zu erwarten. Ich komme zu Deiner Barmherzigkeit. Sie allein kann mich retten. Gott sei mir Sünder gnädig. Erbarme Dich meiner, o Gott, … (Ps 50,3). Deine unendliche Gnade wird meine vielzähligen Sünden besiegen.” Und die tiefe Herzensreue des Pharisäers bewegte die Gnade Gottes zu Mitleid und erfüllte an ihm die Worte des Psalmisten, dass “Gott ein demütiges und zerschlagenes Herz nicht verschmäht (Ps 50, 19).

Der Stolz des Pharisäers hat erniedrigt, aber die Demut des Zöllners hat erhöht. Deshalb sagen die Heiligen Väter, dass eine Sünde mit Demut besser ist als Schuldlosigkeit mit Stolz gepaart, denn Hochmut erniedrigt leicht die Tugend, aber die Demut überwindet das Maß der Sünde.

“Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt; wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.”

Gott liebt in den Menschen nichts mehr als die Heilige Demut und Er nähert sich keinem anderem als allein einer demütigen, bescheidenen Seele. Deshalb dient die Demut für jeden Menschen als Grundlage für sein ganzes, Gott wohlgefälliges Leben und ist die Quelle des Erbarmens sowie der Wohltaten des Herrn …

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