Zum Fest der Geburt unseres Herrn und Heilands Jesu Christi (Teil 2)

7. Januar 2023

Weihnachtsikone

Die Festikone und ihre Bezüge zur Heiligen Schrift (Teil 2)

Wenden wir uns nun dem Zentrum des Bildes zu, dem Kind. Es liegt da, verschnürt in Tücher wie eine Mumie. So hat man mit Sicherheit nie ein Kind eingewickelt. Das sind keine Windeln, sondern Leichentücher. Tücher, kreuzweise fest verschnürt mit roten Binden: das sieht man auf Ikonen dann nur noch da, wo die Auferweckung des Lazarus von den Toten dargestellt wird. Genauso verschnürt tritt er aus seiner Grabkammer hervor. Die Todgeweihtheit des Gottmenschen ist also schon auf der Geburtsikone angedeutet. Der Prophet Jesaja, Vorherkünder der Geburt des Messias, ist zugleich Visionär des leidenden und sterbenden Gottesknechtes: „Ich aber widerstrebte nicht, wich nicht zurück. Meinen Rücken bot ich den Schlagenden dar, meine Wange den Raufenden. Ich verbarg mich nicht vor Schmähung und Bespeiung“ (Jes 50, 6). „Seht mein Knecht wird erfolgreich sein, erhöht werden, hoch empor steigen und sehr erhaben sein. Wie sich viele über ihn entsetzten – so unmenschlich entstellt war sein Aussehen, und seine Gestalt nicht mehr die der Menschenkinder -, so werden viele der Völker in Staunen geraten“ (Jes 52, 13-15). Hoheit und Leiden des Gottmenschen sieht Jesaja in einem. Die Leichentücher, in welche das Kind gewickelt ist, zeigen das Geschick an, welchem es, wie alle Menschen, entgegengeht.

Doch Sein Tod hat eine tiefe Bedeutung und bringt den Menschen Heil. Das Kind liegt nämlich nicht in einer üblichen Futterkrippe, sondern auf einem Altar, um sich zu opfern, um Sein Leben als Opfergabe hinzugeben für die vielen: Jesaja deutet uns wiederum das Kind auf dem Altarstein: „Aber wahrlich, unsere Krankheiten hat er getragen, unsere Schmerzen hat er auf sich geladen. Er ward durchbohrt um unserer Sünden willen, zerschlagen für unsere Missetaten. Zu unserem Frieden lag die Strafe auf ihm, durch seine Striemen ist uns Heilung geworden. Dem Herrn gefiel es, ihn durch Leiden zu zermalmen; wenn Er sein Leben als Schuldopfer hingibt, wird er Nachwuchs sehen und viele Lebenstage, und der Plan des Herrn wird durch seine Hand gelingen. Darum will ich ihm die vielen als Anteil geben und die Mächtigen fallen ihm als Beute dafür zu, dass er sein Leben in den Tod dahingegeben hat und unter die Übeltäter gezählt wurde, während er doch die Schuld der vielen trug und für die Sünder eintrat“ (Jes 53, 4. 5. 10. 12).

Wenden wir uns nun den beiden Figuren zu, welche dem Kind am nächsten stehen, dem Ochs und dem Esel. Auch diese beiden, welche wir im Evangelium vergeblich suchen werden, deutet uns der Prophet Jesaja: „Das Rind kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn. Israel aber erkennt es nicht und mein Volk hat keine Einsicht “ (Jes 1, 3). Das ist weniger ein Ausruf der Verzweiflung als eine Aufforderung an alle, wie die beiden Tiere in diesem Kind den Herrn und Gott der Welt zu erkennen und zu ehren. Schon Gregor von Nazianz deutet das so. Es gibt noch einen anderen Propheten des AT, welcher uns Auskunft über die beiden Tiere gibt: der Prophet Habakuk (3,2): „Zwischen zwei Tieren tust Du deine Herrlichkeit kund, sagt er. Der Kirchenvater Gregor von Nyssa hat dieses Prophetenwort so gedeutet: Das eine Tier der Ochse, ist das Judentum, welches an den schweren Karren des mosaischen Gesetzes angespannt war. Das zweite Tier der Esel, ist das Heidentum, welches mit der Sünde des Götzendienstes beladen war. Zwischen beiden liegt nun der Gottessohn. Durch seine Menschwerdung und seinen Tod hat er Juden und Heiden, also die ganze Menschheit von ihren unerträglichen Lasten befreit (PG 45,1138). Ich möchte noch eine dritte Deutung anfügen. Im Gesetz des Mose heißt es: „Du sollst nicht mit Ochs und Esel zusammen pflügen“ (Dt 22, 10). Der Grund für diese Bestimmung war wohl ursprünglich einfach der, dass diese Tiere nicht gemeinsam laufen, weil sie sich gegenseitig nicht mögen. Nun stehen ausgerechnet diese beiden Tiere, welche nie zusammenzupassen schienen, gemeinsam am Altar des Herrn, geeint durch seine Menschwerdung und seinen Tod. Was menschliches Mühen nicht zustande bringt, das wirkt die Tat des menschgewordenen Gottes: Sie vereint das Unvereinbare, überwindet Spaltungen, heilt Wunden, schließt Risse, schafft Einheit: Ochs und Esel, Juden und Heiden, alle, die in der Finsternis sitzen und im Schatten des Todes, sehen ein großes Licht (vgl. Lk 1, 79).

Nun zur Landschaft überhaupt: Der Berg, der da gezeigt ist, wirkt genauso wenig naturalistisch wie etwa die beiden Tiere in der Höhle. Tatsächlich ist auch der Berg ein Symbol: In einem byzantinischen Hymnus heißt es folgendermaßen: „Christus, der im Kommen ist, offenbar als unser Gott, er kommt und säumt nicht, aus dem von Büschen beschatteten Berg, aus dem Mädchen, das gebiert, unwissend des Mannes“; vor Zeiten sagt es der Prophet. Das Prophetenwort, auf welches die Liturgie hier anspielt, stammt aus Habakuk (3,3 LXX): „Gott kommt von Theman her, der Heilige vom schattigen bewachsenen Berg.“ So gesehen bedeutet der Berg auf unserer Ikone also die Gottesmutter, die Höhle aber ihren Mutterschoß. Was hat das zu sagen? Wenn ein orthodoxer Christ von der hl. Maria spricht, meint er vielleicht Maria Magdalena oder die hl. Maria von Ägypten, kaum aber die Gottesmutter. Die Gottesmutter ist für ihn eben die Gottesmutter, d.h. weniger eine individuelle Heilige, als vielmehr der Punkt der Menschheit, ja der gesamten Schöpfung, den Gott erwählt hat, um selbst Fleisch, Teil seiner eigenen Schöpfung zu werden. Das Mädchen aus Nazareth steht also stellvertretend für die gesamte Menschheit. So singt man in der orthodoxen Weihnachtsvesper: „Was werden wir dir darbringen, Christus, der du unseretwegen als Mensch auf Erden geboren bist? Jedes der durch dich geschaffenen Geschöpfe bringt dir eine Dankgabe: Die Engel die Hymnen, der Himmel den Stern, die Magier die Geschenke, die Hirten ihr Verwundern, die Erde die Höhle, die Wüste die Krippe, wir aber eine jungfräuliche Mutter.“ An ihr, der Gottesmutter, zeigt sich auch als erster, was Gott mit der Menschheit, mit der Schöpfung, vorhat. Maria ist Teil der Schöpfung. Die Schöpfung aber versinnbildet der Berg auf der Ikone. Die Gottesmutter erscheint nun, als ob sie selbst eingefügt sei in den Berg, auf welchen sie hingebettet ist. Sie ist der Berg. Sie ist die Schöpfung schlechthin, wie sie sein soll. Gott aber erlöst die Schöpfung vom Tode dadurch, dass er selbst Geschöpf wird.

Über dem Berg, über der Schöpfung befinden sich die Engel. Sie walten ihres Amtes als Hofstaat Gottes (links) und als Gesandte Gottes zu den Menschen (rechts). Sie beten Gott an, der soeben eine so große Heilstat ins Werk gesetzt hat, dass auch sie es nicht fassen können. Ihre Hände sind verhüllt. Damit bringen sie die Nichtigkeit jeder Kreatur vor Gott zum Ausdruck.

Einer von ihnen aber teilt das Geheimnis einem Hirten mit. Die Hirten sind solche, von denen Jesus später sagen wird, sie seien arm im Geist und deshalb gehöre ihnen das Gottesreich (Mt 5,3). Sie staunen, glauben und beten an.

Von der linken Seite kommen die Magier aus dem Osten. Das Heil ist nun nicht mehr auf ein einziges Volk beschränkt. Schon bei Jesaja sagt Gott zum Messias: „Zu wenig ist es, dass du mein Knecht nur seist, um die Stämme Israels wieder aufrichten und zurückzuführen, was aus Israel noch zurückbleibt. Ich mache dich zum Licht der Heiden, dass mein Heil bis an die Grenzen der Erde reiche“ (Jes 49,6). Gott hatte sich nur deshalb ein Volk auserwählt, um den Boden zu bereiten für seine Menschwerdung. Diese ist nun geschehen. Nun sind alle gleichermaßen beschenkt. Die Juden und die Heiden, die einheimischen Hirten und die fremden Magier strömen von allen Seiten zusammen, um geeint sich vom Gottmenschen Leben bringen zu lassen. Interessant ist, dass die Ikonen die Magier nicht mit verschiedener Hautfarbe als Vertreter verschiedener Völker kennzeichnen, sondern diese statt dessen verschieden alt sind. Einer ist jung, einer befindet sich im Zenit des Lebens und einer ist alt. Wahrscheinlich will das sagen, jedes Lebensalter habe seinen eigenen Zugang zu Gott und seinem Heilswirken. Auch auf das Kommen der Fremden weist Jesaja hin: „Steh auf, Jerusalem, werde Licht, denn gekommen ist dein Licht und die Herrlichkeit des Herrn erstrahlt über dir. Lass deine Augen rings um schweifen und sieh: Sie alle sammeln sich, um zu dir zu gehen. Deine Söhne kommen aus weiter Ferne. Sie kommen aus Saba und bringen Gold und Weihrauch und verkünden die Ruhmestaten des Herrn “ (Jes 60, 1.4.6). Apostel Matthäus (Mt 2,1) wird später in Anlehnung na diese Stelle sagen, die Magier hätten Gold, Weihrauch und Myrrhe gebracht. Man hat wohl von der Dreizahl der Geschenke auf die Dreizahl der Magier geschlossen. Wichtig ist aber der Symbolcharakter ihrer Geschenke. Gold ist für den König, Weihrauch für Gott, und mit Myrrhe balsamiert man Tote ein. Das in Leichentücher gewickelte Kind tritt damit wieder in unser Blickfeld.

Ein weiterer Vers bei Jesaja bringt etwas Licht in die beiden Fragen, warum die Magier gern als Könige dargestellt werden und was es mit den beiden Frauen auf sich hat, welche das Kind baden: „Es werden Fürsten deine Pfleger sein und Königinnen deine Ammen. Das Antlitz zur Erde tief gebeugt werden sie dir huldigen“ (Jes 49, 23). Die beiden Frauen im Vordergrund sind also Hebammen. Sie baden das neugeborene Kind und zeigen damit ein weiteres Mal an, dass Gott wirklich und wahrhaftig Mensch geworden ist und deshalb all das braucht, was ein Menschenkind nötig ist. Die beiden Hebammen kommen im NT genauso wenig vor wie die beiden Tiere. Die Legende (nämlich das Proto – Evangelium des Jakobus und Pseudo – Matthäus) berichtet aber sehr ausführlich über sie. Sie sollen Zelomi und Salome geheißen haben und von dem ratlosen Josef gerufen worden sein. Als sie kamen, war das Kind schon geboren. Salome soll an der jungfräulichen Geburt gezweifelt haben: Als Folge ihres Unglaubens verdorrte ihr der Arm. Als sie jedoch das Kind berührte, war er sofort wieder heil. Diese Geschichte fordert unmissverständlich zum Glauben an die Gottheit Jesu und die Jungfräulichkeit Mariens auf. Darüber hinaus zeigt sie das Verderben, welches vom Unglauben, und das Heil, welches vom Glauben ausgeht. Das Kind heilt schon jetzt, wie später oft im NT von Christus berichtet, die Seele und den Leib. Es verleiht Heil, nämlich Heiligung und Heilung. Es ist der Heiland.

Links unten sitzt der heilige Josef nachdenklich auf einem Stein und grübelt über das Ereignis, als ob er die letzten Zweifel noch nicht überwunden habe. Die Zweifel des heiligen Josef sind bereits im Matthäus – Evangelium angedeutet: „Als seine Mutter mit Josef verlobt war, fand es sich, ehe sie miteinander lebten, dass sie empfangen hatte vom Heiligen Geist. Da aber Josef, ihr Mann, gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, gedachte er, sie im Stillen zu entlassen “ (Mt 1, 18-19). Dieses „ nicht bloßstellen“ und „im Stillen entlassen“ bedeutet nicht weniger, als dass er sie nicht der Steinigung durch die Dorfgemeinschaft auslieferte, der Strafe, welche nach dem Gesetz auf den Bruch des Eheversprechens seitens der Frau stand (Dt 22, 20 f.). Doch hat auch die Erscheinung der Engel offenbar seine Enttäuschung und Verzweiflung nicht ganz überwinden können. Diese wird in der Legende und in Hymnen der Ostkirche ausgemalt und unser Bild hat diesen Zug ebenfalls bewahrt. Im Westen hat man diese Szene, wie alles, was nicht zum gewünschten lieblich – idyllischen Bild passte, weggelassen oder umgestaltet.

Das Weihnachtsbild der orthodoxen Kirche ist für uns voller Fremdartigkeiten. Es steckt voller Überraschungen und trägt in allen seinen Einzelheiten uralte kirchliche Überlieferungen und tiefe theologische Gehalte in sich. Sein zentrales Anliegen ist es, die Gottmenschheit Jesu und seine jungfräuliche Geburt aus der Gottesmutter mit ihren unschätzbaren Auswirkungen auf die Menschen und die Welt zu verkünden.

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