In dem unendlichen Reichtum der Persönlichkeit des Gottmenschen Christus hat jede Nation die Züge der Heiligkeit herausgegriffen, die ihr näher am Herzen liegen, die verständlicher sind, die für sie besser umsetzbar sind. Aus der ganzen wunderbaren Vielfalt der Heiligkeit, aus dem ganzen Reichtum irdischer und himmlischer menschlicher Möglichkeiten feiern wir heute das Gedenken an alle Heiligen, die in der russländischen Kirche geleuchtet haben: Menschen, die uns blutsverwandt sind, deren Leben mit den entscheidendsten Ereignissen unserer Geschichte verflochten war, Menschen, die der Ruhm unseres Landes sind, die reiche, schöne Frucht der Aussaat Christi, wie es im festlichen Troparion über sie heißt.
In dieser Schar russischer Heiliger können wir meines Erachtens drei Merkmale als charakteristische Eigenschaften der russischen Heiligkeit ausmachen: nicht in dem Sinne, dass sie bei anderen Völkern fehlten, sondern in dem Sinne, dass genau diese Eigenschaften in unserem Heimatland wahrgenommen und geliebt wurden.
Die erste ist die unendliche Geduld Gottes. Der heilige Apostel Petrus sagt, dass Gott nicht langsam in seinem Gericht ist, sondern geduldig; er wartet, weil er liebt, und die Liebe glaubt alles, hofft alles, erwartet alles und hört niemals auf. Und diese Eigenschaft der geduldigen, unendlich wartenden Liebe Christi, die ihn so teuer zu stehen kommt - denn Geduld bedeutet die Bereitschaft, das Grauen und die Hässlichkeit und die Schreckensbilder der Erde so lange zu ertragen, bis der Wille Gottes erfüllt ist - diese Geduld des Herrn findet ihren Ausdruck auch in unseren Heiligen: Nicht nur durch ihre wunderbare Ausdauer und Zähigkeit in ihrer Askese, sondern auch durch eine solche Offenheit des Herzens, die niemals am Schicksal des Sünders verzweifelt, durch eine solche Offenheit des Herzens, die jeden annimmt, die bereit ist, die Folgen dieser geduldigen Liebe zu tragen, nicht nur durch die Askese, sondern auch durch Leiden und Verfolgung, die sich nicht vom Verfolger abwendet, ihn nicht verleugnet, ihn nicht aus ihrer Liebe ausschließt, sondern bereit ist, wie der Apostel Paulus sagt, sogar in der Ewigkeit unterzugehen, wenn nur diejenigen gerettet werden, die des Heils bedürfen.
Ein weiteres Merkmal, das dem russischen Volk an Christus auffiel, war die Größe der Erniedrigung Christi. Alle heidnischen Völker suchten in ihren Göttern ein Abbild dessen, was sie sich selbst erträumten - persönlich, jeder Einzelne, und gemeinsam, das gesamte Volk: Sie betonten die Herrlichkeit, sie betonten die Macht, die Kraft, die Güte, die Gerechtigkeit. Und selbst die Götter des Altertums, die für das Volk starben, starben einen Heldentod und stiegen sofort in Herrlichkeit auf.
Aber die Erscheinung Gottes in Christus ist anders; es war unmöglich, sie zu erfinden, unmöglich, denn niemand konnte sich Gott so vorstellen: ein Gott, der gedemütigt, besiegt ist; ein Gott, den die Menschen mit Spott und Verachtung umgeben, ihn ans Kreuz nageln, ihn verhöhnen .... So könnte sich Gott offenbaren, aber der Mensch könnte nicht nur nicht, sondern würde ihn auch nicht erfinden wollen, vor allem, wenn wir uns an die Worte dieses Gottes erinnern, dass er uns ein Beispiel gibt, damit wir so sind, wie er war.
Und dieses Bild des gedemütigten Christus, dieses Bild des besiegten Gottes, des besiegten Gottes, des Gottes, der so groß ist, dass er die letzte Beleidigung ertragen kann und dabei in der ganzen Herrlichkeit und Majestät seiner Demut bleibt, hat das russische Volk geliebt und liebt es heute und verwirklicht es heute.
Und das dritte Merkmal, das ich anmerken möchte und das mir allen russischen Heiligen gemeinsam zu sein scheint, ist, dass in der gesamten russischen Geschichte die Heiligkeit mit dem Phänomen und der Manifestation der Liebe zusammenfällt.
Die Arten der Heiligkeit wechselten sich in unserem Land ab: Es gab Einsiedler und Mönche, die in Städten lebten; es gab Fürsten und Bischöfe; es gab Laien und Asketen aller Art - und nicht zu vergessen die Narren. Aber sie alle sind nicht zufällig aufgetaucht, sondern in dem Moment der russischen Geschichte, als es möglich war, in dem einen oder anderen Bild dieser Askese die Liebe zu Gott und die Liebe zu den Menschen noch deutlicher zu zeigen. Und das ist eine der Freuden unserer tragischen und oft dunklen und schrecklichen Geschichte: dass in all ihren Epochen - ob sie nun hell oder dunkel waren - dieser Strom der göttlichen Liebe wie ein roter Faden, ein goldenes Muster verlief, und dass dort, wo die Sünde zunahm, die Gnade im Überfluss vorhanden war, und dort, wo die menschliche Grausamkeit zunahm, ein neues Zeugnis der Liebe Gottes in den Herzen der Menschen entzündet wurde, ein Zeugnis des Erbarmens Gottes sowie des menschlichen Erbarmens.
Unsere Heiligen kommen uns wie nahe Verwandte vor; aber wenn wir über uns selbst nachdenken, können wir sagen, dass diese Eigenschaften das Begehren, der Traum unserer Seelen sind, die sich nach dem ewigen Leben sehnen? Suchen wir nicht eher nach Sicherheit und nicht nach Verwundbarkeit, nach Stärke und nicht nach Niederlage, nach Ruhm und nicht nach Erniedrigung? Ist unser Leben in seiner Gesamtheit, oder zumindest in seinen grundlegenden Ausprägungen, die Liebe, die im Menschen verkörpert sein sollte? Finden wir in uns diese unendliche, unzerstörbare Geduld, diese demütige Liebe zum Nächsten, diese Hingabe, diese Fähigkeit, niemanden abzulehnen, sondern nach dem Wort Christi alle zu segnen, die Guten und die Bösen mit Liebe zu erfüllen, jene Liebe zu zeigen, von der uns der Apostel Paulus erzählt?
Wenn wir dies nicht finden, dann fallen wir aus dem Strom der russischen Heiligkeit heraus, dann befinden wir uns außerhalb des Weges Christi in der russischen Seele und in der russischen Geschichte. Dann sind wir Bruchstücke, Abfall. Wie schrecklich und erbärmlich ist es, daran zu denken! Wenn wir wollen, dass alle Saiten unserer menschlichen Seelen erklingen, wenn wir wollen, dass alles, was leben und das Lied des Herrn singen kann, in uns geheiligt ist und singt, auch wenn es in einem fremden Land ist, dann müssen wir genau diese Eigenschaften der russischen Heiligkeit, der russischen heiligen Seele annehmen, und dann werden wir eins sein mit jenen Glaubenszeugen, die jetzt ihren Weg der Rettung des russischen Landes fortsetzen - mit Blut und unsterblicher Liebe. Amen.