Unser Herr Jesus Christus belehrte Seine Jünger durch Gleichnisse
Predigt vom Hl. Erzbischof Luka (Wojno-Jasenetzkij) von Sewastopol und der Krim
Ihr habt in dieser Evangeliumslesung ein sehr wichtiges Gleichnis von Christus gehört. Versucht, darin einzutauchen und es auf rechte Weise zu verstehen. Ihr kennt den Inhalt des Gleichnisses, aber ich werde meine Predigt mit seinem Ende beginnen, mit den Worten, mit denen unser Heiland es beendet hat: “Denn wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat.”
Wenn jemand diese Worte hört, kein geistlicher, sondern ein intellektueller Mensch, dann versteht er sie nicht nur nicht, sondern wird empört sein: Wie ist es möglich, dass jemand, der viel hat, viel haben wird, und wer nichts hat, dem wird das Letzte genommen werden?
Denn er begreift nicht, dass es nicht um irdische Güter geht, über deren Verteilung er auf seine weltliche Weise urteilt, und er hat auf seine Weise recht; er begreift nicht, dass es um etwas anderes geht.
Warum versteht er das nicht? Der heilige Paulus antwortet uns: "Der irdisch gesinnte Mensch aber lässt sich nicht auf das ein, was vom Geist Gottes kommt. Torheit ist es für ihn, und er kann es nicht verstehen, weil es nur mit Hilfe des Geistes beurteilt werden kann.
Der geisterfüllte Mensch urteilt über alles; ihn aber vermag niemand zu beurteilen." (1 Kor 2,14-15).
Menschen, die kein Geist erfülltes Herz besitzen, leben ein rein materielles Leben, ohne an geistliche Dinge zu denken, und sie können vieles von dem, was im Evangelium Christi geschrieben steht, nicht verstehen. Vieles erscheint ihnen verrückt, nicht nur unverständlich, sondern sogar wahnsinnig, so wie die Hellenen die Predigt über das Kreuz Christi für wahnsinnig hielten.
Sie spotten über das Evangelium, sie spotteten über die Worte Christi. Warum spotteten sie? Weil sie sie nicht verstanden. Sie verurteilten, was sie nicht verstanden.
Wie sollen wir geistlichen Menschen diese Worte Christi verstehen? Was sagt uns das Gleichnis über die Talente?
Im Bild des reichen Mannes, der sein Geld an seine Diener verschenkte und weit weg ging, sollten wir den Herrn Jesus Christus selbst erkennen, der uns als seine Diener die Gaben seiner göttlichen Gnade schenkte.
Er hat einem jedem nach seinen Fähigkeiten und seinem Verstand gegeben.
Während der erste Knecht von dem reichen Mann fünf Talente erhielt, der zweite zwei, der dritte eines, d.h. das Silber, das auf der Waage gewogen wurde (das Talent ist das Maß für das Gewicht), so hat Gott uns die Gaben seiner Gnade gegeben, einem jeden nach seinen Fähigkeiten und seinem Verstand, und er wird jeden beim Letzten Gericht zur Rede stellen, wie der reiche Mann seine Knechte zur Rede stellte.
Welche Gaben erhalten wir von Gott? Die Gnadengaben.
Gnade - das sind die guten Gaben Gottes; Gnade ist zugleich Gottes große Hilfe zur Vermehrung der geistlichen Gaben.
In der heiligen Taufe und im anschließenden Sakrament der Myronsalbung erhalten wir alle die großen Gaben des Heiligen Geistes: Wir erhalten Glaube und Liebe - den Glauben an Gott, die Liebe zu Gott, wir erhalten ein liebesfähiges Herz, das das alttestamentliche Gebot erfüllen soll: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit ganzer Kraft und aus ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst.”
Glaube und Liebe sind das, was über allen Dingen steht.
Denn es ist der Glaube und die Liebe Christi, die euch dazu bringt, auf mich zu hören, auf den so viele, so zahllos viele nicht hören wollen.
Wir alle müssen unseren Glauben und unsere Liebe stärken. Wie die Diener des reichen Mannes den Kaufleuten das Silber geben sollten, das sie erhalten hatten, und es durch Handel vervielfachen sollten, so sollen auch wir einen reinen, heiligen Kauf tätigen, indem wir unseren Glauben und unsere Liebe als Gaben zu Gott bringen und sie auf diese Art und Weise vermehren oder verdoppeln.
Wie vermehrt man Glaube, wie vermehrt man Liebe?
Um unseren Glauben zu vermehren, müssen wir vor allem täglich an das schreckliche Opfer denken, das der Sohn Gottes, Jesus Christus, für uns gebracht hat, um uns von der Macht des Teufels zu befreien.
Wir sollten an Sein Kreuz denken, das mit Seinem heiligen Blut besprengt ist, und an die unsagbaren Leiden, die er am Kreuz auf sich genommen hat, um uns zu retten.
Sollten wir Ihn dafür nicht von ganzem Herzen lieben? Sollten wir unsere Liebe nicht durch ständiges Nachdenken über das Kreuz Christi, über die Unermesslichkeit der Gnade, die Er dem sterblichen Menschengeschlecht geschenkt hat, vergrößern?
Unsere Liebe wird wachsen, unsere Liebe wird sich vervielfachen, unsere Liebe wird in unserem Herzen wachsen, wenn wir auf das Kreuz Christi schauen. Und womit können wir unsere Liebe noch vermehren?
Vervielfältigen wir sie mit dem, womit sich unsere Nächstenliebe am stärksten manifestiert: durch Werke der Barmherzigkeit, des Mitleids, der Hilfe für unsere armen, notleidenden Brüder, nach deren Vorbild der Herr Jesus uns Seine Hand entgegenstreckt.
Vermehrt, vermehrt den Glauben, die Liebe und die Barmherzigkeit und vermehrt eure Geduld, denn die Geduld ist eine der großen Gaben des Heiligen Geistes.
Ertragt alles, alles Leid, alle Sorgen, alle Krankheiten, ohne zu murren, und nicht nur ohne zu murren, sondern sogar mit Danksagung. Woher nehmen wir die Kraft, um die Gnade des Glaubens zu vermehren?
Zuerst in der heiligen Kirche, denn dort werden eure Herzen vom Gebet erfüllt sein, das von Hunderten und Aberhunderten gläubiger Herzen erhoben wird. Dieses Gebet wird nicht an unseren Herzen vorbeigehen, es wird sie berühren und in ihnen die Gnade des Glaubens vermehren.
Gott hat einigen von uns die große Gabe der Weisheit und der tiefen Einsicht gegeben.
Wie kann man diese Gabe vermehren, die nicht jedem zukommt, aber dennoch uns allen in gewissem Maße eigen ist, denn alle haben einen Verstand? Ihr müsst euren Verstand trainieren, indem ihr fleißig und beständig Bücher lest, die gut, tiefgründig und wahr sind, und das sind vor allem die Bücher, die von heiligen Menschen geschrieben wurden.
Lest sie fleißig, und euer Geist wird vom Licht Christi erleuchtet werden. Die Weisheit, die von oben herab kommt, wird in euer Herz kommen.
Wenn Ihr euch also bemüht, die Gaben des Heiligen Geistes zu vervielfältigen, dann vervielfältigt Ihr all das Gute, das Ihr von Gott erhalten habt, und Ihr vervielfältigt die Gnade, die er Euch geschenkt hat. Denkt an die Worte Christi: "Das Reich Gottes ist in euch.''
Das bedeutet, dass wir nicht nur an das zukünftige Himmelreich denken dürfen, in das uns Gott nach unserem Tod Einlass gewähren wird, sondern das Reich Gottes muss schon in diesem Leben in unseren Herzen seinen Anfang nehmen. Denn in den Herzen der Gerechten wird es offenbart, während sie noch leben.
Denkt an die anderen Worte Christi: "…bis heute wird dem Himmelreich Gewalt angetan; die Gewalttätigen reißen es an sich.”
Wir müssen das Himmelreich durch Gewalt, das heißt durch Anstrengung erlangen.
Und Ihr müsst große Anstrengungen unternehmen, um den Beginn des Reiches Gottes schon in diesem Leben in Euer Herz zu legen. Ihr sollt unermüdlich für Gott arbeiten.
Die meisten Menschen arbeiten nur an der Errichtung des irdischen Reiches, aber wir Christen sind von Gott beauftragt, uns nicht um die irdischen Dinge zu kümmern, sondern um die himmlischen.
Denken Sie daran, was der reiche Mann zu seinen Knechten sagte, als er aus dem fernen Land zurückkehrte. Da kam der erste Knecht, der fünf Talente erhalten hatte, und er hatte sie verdoppelt, dann kam der zweite Knecht, der zwei Talente erhalten hatte, und auch er hatte sie verdoppelt. Zu ihnen beiden sagte der Herr: "Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist im Kleinen ein treuer Verwalter gewesen, ich will dir eine große Aufgabe übertragen. Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn!" (Mt 25, 21 und 25, 23).
Wir müssen nicht nur in kleinen Dingen treu sein, sondern in allem: in allem mit Entschlossenheit! Wir müssen immer und überall treu sein.
Und wenn wir im Kleinen treu sind, dann wird der Herr uns über vieles stellen: über die unzähligen Segnungen Seines Reiches.
Und was ist das Schicksal des dritten Knechtes, der nur ein Talent erhalten hat, es in der Erde vergraben hat, ein untreuer und nachlässiger Knecht war, der das, was er erhalten hat, nicht vermehrt hat, was ist sein Schicksal?
Oh, es ist schrecklich!
Das Folgende sagte sein Herr über ihn, und das wird Christus über uns sagen, wenn wir uns nicht um die Vermehrung der Gaben Gottes bemühen: "Du bist ein schlechter und fauler Knecht! Du hast doch gewusst, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe. Hättest du mein Geld wenigstens auf die Bank gebracht, dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückerhalten. Darum nehmt ihm das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat! Denn wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird er heulen und mit den Zähnen knirschen." (Matthäus 25,26-30).
Werft ihn in die äußerste Finsternis... Was ist die äußerste Finsternis? Es ist das ganze weite Gebiet, das außerhalb des Reiches Gottes liegt, das außerhalb von Ihm ist.
In dieser Finsternis, in dieser äußersten Finsternis, wird es Heulen und Zähneknirschen geben bei denen, die es wagen, Gott beim Jüngsten Gericht zu sagen, was der dritte faule Knecht sagte: "Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mann bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt. Hier hast du es wieder." (Mt 25,24-25).
Oh, wagen wir es, dem göttlichen Richter solch unverschämte Worte zu sagen: "Ich habe gewusst, dass du ein strenger Mann bist: Du erntest, wo du nicht säst, und sammelst, wo du nicht streust"?
Wieso sammelt er, wo er nicht gesät hat? Er hat überall gestreut, er hat in alle Herzen die Gaben seiner Gnade gesät.
Oh, wehe uns, wehe den Bösen, wenn wir wie der dritte unachtsame Knecht sind! Möge der Herr uns vor dem schrecklichen Schicksal bewahren, in die äußerste Finsternis geworfen zu werden. Amen.
(7. Oktober 1951)