Wir wissen nicht nur aus der Schrift, sondern auch aus der Erfahrung der Heiligen und aus der Erfahrung der sündigen Menschen, dass der Herr seinen Jüngern den Heiligen Geist als ein Feuer, das alles durchdringt, als einen Strom, der fließt und alles mit sich führt, auf die Erde gesandt hat. Der Heilige Geist ist in der Kirche, in der Welt gegenwärtig, er durchdringt alles, und die Kirche ist ein Ort, der gleichsam von ihm durchstrahlt ist. So sehen wir in der Kirche uns selbst, unwürdige, schwache, unansehnliche Menschen, und wir können den vollkommenen Menschen in der Person Christi sehen. Ihn als den vollkommenen Menschen zu sehen und ihn als unseren Herrn und Gott zu erkennen, das können wir, weil der Heilige Geist auf die Erde gekommen ist und uns die Augen geöffnet hat. Er ist der Tröster, er ist die Kraft, er ist die Freude, er offenbart in uns unsere Ähnlichkeit mit Christus, unser göttliches Bild. Dies ist eines der tiefsten Geheimnisse der Kirche. Welche Freude ist es, dass Gott selbst sich uns offenbart, und indem er sich uns offenbart, offenbart er uns die Größe, zu der wir berufen sind: Christus ähnlich zu sein, Liebe zu sein, siegreiche Liebe, opferbereite, kreuztragende, rettende Liebe in der manchmal so schrecklichen Welt, in der wir leben.
Die Kirche ist also für den Gläubigen ein wunderbarer Ort der Begegnung mit Gott, ein Ort der Begegnung zwischen der lebendigen Seele und dem lebendigen Gott; und nicht nur ein Ort, an dem - wie wir glauben - irgendetwas geschieht, sondern ein Ort, an dem wirklich etwas geschieht.
Sie werden mich vielleicht fragen, wie ich das behaupten kann. Natürlich könnte ich Sie auf die Stelle in der Heiligen Schrift verweisen, wo erzählt wird, wie Saulus, der gelehrte Jude, der Pharisäer, nach Damaskus ging mit dem Willen und der Absicht, die Christen als Betrüger zu verfolgen, weil er glaubte, dass Christus ein falscher Prophet und Gotteslästerer sei, und wie er auf dieser Reise plötzlich dem auferstandenen Christus von Angesicht zu Angesicht begegnete, in einem unbegreiflich hellen Licht, der ihn mit der Frage ansprach: “Saulus, warum verfolgst du mich?” Es war eine reale Begegnung, die ihn verwandelte, keine Halluzination oder Einbildung, denn nach einer Halluzination bleibt der Mensch nicht in einem normalen, geistig gesunden Zustand. Doch Saulus blieb, nach seinen Schriften, nach seiner Tätigkeit zu urteilen, ein ganz normaler Mensch.
Aber ich kann Ihnen auch von einer anderen Person erzählen, die bereits unser Zeitgenosse ist. Ein ungetaufter, ungläubiger Engländer kam in unsere Kirche, um einem Gemeindemitglied ein Paket zu bringen. Er wollte nach dem Gottesdienst kommen, weil er nichts Gutes vom Gottesdienst erwartete und keine Zeit verschwenden wollte. Aber er kam, als der Gottesdienst noch lief. Er setzte sich in den hinteren Teil der Kirche, wie er mir später erzählte. Nachdem er ein paar Minuten dort gesessen hatte, spürte er plötzlich, dass in dieser Kirche etwas vor sich ging, dass sie von einer Art Gegenwart erfüllt war. Er dachte darüber nach. Wie er mir erzählte, hielt er es für eine Einbildung, die von den flackernden Kerzen, dem Gesang des Chors, dem Geruch des Weihrauchs und, wie er es ausdrückte, „der Hysterie der Gläubigen“ inspiriert war. Aber es war so lebendig, so überzeugend, dass er beschloss, herauszufinden, ob es sich um Hysterie handelte, ob es eine Täuschung war, ob es von ihm selbst ausgelöst war oder ob es wirklich etwas Besonderes in dieser Kirche gab (wie in jeder Kirche, natürlich). Und er kam, mit meiner Erlaubnis, in diese Kirche, als niemand dort war und kein Gottesdienst stattfand. Nachdem er drei Stunden lang gesessen hatte, sagte er zu mir: „Wissen Sie, in dieser Kirche spüre ich eine gewisse Präsenz, eine lebendige Kraft lebt darin - ist es das, was Sie Gott nennen ...? Ich sagte: „Ja! Die Kirche ist ein Ort, an dem der lebendige Gott gegenwärtig ist...“ „Was kümmert mich ein solcher Gott“, sagte mein Gesprächspartner, “wenn seine Gegenwart keine Wirkung auf mich hat? Ich spüre diese Gegenwart, ich freue mich, ich sitze hier still, ich habe ein Gefühl von einer gewissen Tiefe und Freude - aber das ist alles! Wenn ich weggehe, wird dann alles verschwinden?! Wenn es einen Gott gibt, dann brauche ich einen tätigen Gott, einen Gott, der wirkt und etwas mit mir tut ...“. Ich lud ihn ein, ab und zu zu kommen und zu sehen, was passiert: Besser gesagt, ich lud ihn nicht ein, ich gab ihm nur die Möglichkeit zu kommen. Und er begann zu kommen. Und dieser Mann erzählte mir, dass er sieht, wie die Menschen nach dem Gebet, besonders nach der Kommunion der Heiligen Gaben, sich verändern, dass ein Licht von ihnen ausgeht; nicht dieses sichtbare Licht, aber sie leuchten, sie werden so lebendig, dass man mit den Worten eines englischen Schriftstellers sagen könnte: „Ach, schau - eine Statue, eine Statue ist ein lebendiger Mensch geworden. Dieser Mensch mag nicht so schön sein wie eine andere Statue, die ein Stein bleibt, aber er ist lebendig, er ist lebendig geworden!...“ Und er fügte hinzu: „Wenn dein Gott das tun kann, möchte ich zu ihm kommen; ich möchte, dass er es auch an mir tut, dass er mich zu einem lebendigen Menschen macht, wie ich es noch nie zuvor war.“.... Und nach einem Jahr oder anderthalb Jahren ließ er sich taufen und ist bis heute gläubig geblieben und freut sich über diese Begegnung mit dem lebendigen Gott.
Aber wenn das alles wahr ist, kann die Frage aufgeworfen werden, wie eine christliche Gemeinschaft so unvollkommen, so unwürdig an sich sein kann, und noch viel mehr, so unwürdig vor Gottes Angesicht ist.
Wenn die Kirche das ist, wovon ich gesprochen habe, d.h. eine Gemeinschaft, die von der göttlichen Gegenwart in der Person Christi erfüllt ist, in dem nach der Heiligen Schrift die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnte, und im Heiligen Geist, dann stellt sich eine sehr ernste Frage: Wie kann dann die Kirche in der menschlichen Geschichte so unbedeutend oder sogar fragwürdig erscheinen?
Alle, nicht nur die Ungläubigen, sprechen darüber - wir Gläubigen wissen es, und wir wissen es auf zwei Ebenen: auf der persönlichen Ebene und auf der allgemeinen Ebene. Auf der persönlichen Ebene weiß jeder von uns, dass wir nicht würdig sind, den Namen eines Christen zu tragen. Christ zu sein bedeutet, ein Abbild zu sein, ein lebendiges Abbild, die Gegenwart Christi selbst in der Welt, die zu retten Er gekommen ist; wer von uns würde es wagen zu sagen, dass er eine lebendige Ikone ist, dass die Menschen, wenn sie ihn ansehen, Christus sofort erkennen können?
Andererseits besteht die christliche Gesellschaft aus einer Ansammlung von Menschen, von denen jeder einzelne sündig, seiner Berufung unwürdig ist; und die historische Kirche hat Fehler gemacht und macht sie immer noch, und sie gibt Fehler zu. Das ist natürlich leicht zu verstehen; denn ein Ideal zu haben ist eine Sache, eine klare Vorstellung davon zu haben, wie ein Mensch sein sollte, ist leicht. Aber dieses Ideal zu verwirklichen, ist äußerst schwierig.
Ich erinnere mich an ein Gespräch, das ich einmal mit einem sowjetischen Offizier in einem Flugzeug hatte. Er sagte mir, dass die Lehre des Evangeliums so hoch ist und die Christen dieser Lehre so gar nicht entsprechen. Und ich sagte zu ihm: „Sie glauben doch an den Marxismus, nicht wahr?“ - „Ja!“ - „Glauben Sie an das, wofür sie in der Armee dienen?“ - „Ja!“-"Und sagen Sie mir: Können Sie wirklich sagen, dass sowohl die Gesellschaft, die sich darauf gründet, als auch jeder Einzelne in ihr so groß ist, wie Sie sie sich nach der Lehre, der Sie Ihr Leben gewidmet haben, vorstellen?“ Daraufhin antwortete er mir: „Natürlich nicht! Aber damit sowohl die Gesellschaft als auch der Mensch so werden können, ist eine vollständige Wiedergeburt des Menschen notwendig; es ist notwendig, dass der Mensch einfach ein anderer Mensch und die Gesellschaft eine andere Gesellschaft wird!....“ Daraufhin sagte ich zu ihm: „Genau! Das kann man auch von der Kirche sagen. Der Mensch wird als neue Einheit geboren; er beginnt von vorne; und er kann - im Falle der Heiligen ist das offensichtlich - wiedergeboren und zu einer solchen Person werden, dass die Menschen, wenn sie ihn ansehen, ein neues Geschöpf, eine Ikone Christi erkennen. Aber das gelingt nicht allen; nicht alle sind solche Helden des Geistes“.
Und deshalb kann man, wenn man die äußeren Erscheinungsformen sowohl des persönlichen als auch des kirchlichen Lebens betrachtet, sie kritisieren, man kann sagen, dass weder die Kirche als Gemeinschaft noch der einzelne Christ ihres Namens würdig sind. Aber wenn man andererseits einen Menschen betrachtet und fragt, was sein Ideal ist, wie viel Arbeit und Opfer er aufwendet, um wiedergeboren zu werden, um sich zu verändern, um anders, um neu zu werden, um Christus und die Kirche nicht durch sein Verhalten und seine Persönlichkeit zu beschämen, dann kann man manchmal staunen.
Und ich denke, dass wir einen Menschen auf diese Weise betrachten sollten: nicht um nach Perfektion in ihm zu suchen, sondern um uns auf der Grundlage dessen, was er im Innern darstellt - Verstand, Herz, Wille, Umstände, in denen er gelebt hat und geboren wurde - eine Frage zu stellen: wie viel Mühe steckt er hinein, um das volle Maß seines Ideals zu erreichen?
Wenn wir die Frage so stellen, sehen wir, wie viel heroische Arbeit jeder Christ leistet, um seinen Erlöser nicht zu beschämen, und wie viel die Kirche leistet, um das zu sein, was Patriarch Alexij in einem Gespräch mit mir einmal gesagt hat. Die Kirche ist keine Propaganda-Gesellschaft, die Kirche - sagte er - ist der Leib Christi, gebrochen, gekreuzigt für das Heil der Welt.
Und wie viele Gläubige, die bei oberflächlicher Betrachtung keine Koryphäen, keine Helden sind, haben trotz ihrer Schwäche, trotz ihrer Ängste ihr Leben für das Heil der Welt hingegeben, für die Verkündigung der Liebe, des Edelmuts, der Wahrheit, des Friedens, der Ehrlichkeit - für die einfachsten und für die größten Tugenden.
Und deshalb können wir mit den Worten von Feofan dem Klausner sagen, dass man auf den Fluss schaut und sieht, wie die Späne auf der Wasseroberfläche treiben, während das Gold in die Tiefe gefallen ist. Jede Gesellschaft, jeder Mensch sollte auf diese Weise betrachtet werden: in die Tiefe hineinschauen. Dann werden wir sehen, dass hinter der Abschirmung, dem Vorhang der Fehler, der Schwächen, manchmal der Angst, etwas sehr Großes im Menschen gewachsen ist, und dass in einem Augenblick, in dem die letzte Frage gestellt wird: ob du glaubst oder nicht, ob du dich deines Namens würdig verhältst oder nicht, ein Mensch plötzlich in das volle Maß seiner Berufung hineinwächst und manchmal sogar sein Leben dafür opfert.
Die Worte des heiligen Feofan über das Gold, das nur auf dem Grund zu finden ist, sind natürlich allegorisch. Aber ich möchte mich an ihnen festhalten. Wenn wir einem Menschen begegnen, werden wir natürlich zuerst von seinen äußeren Merkmalen, seiner äußeren Erscheinung angezogen; wenn wir ihn ein wenig näher kennenlernen - von seinem Verstand, wenn wir noch näher kommen - von einigen Eigenschaften seines Herzens, und die ganze Zeit - von seinen Taten, von der Art, wie er uns behandelt, wie er sich in Bezug auf alle Menschen um ihn herum und auf die Umstände des Lebens verhält. Und das hindert uns oft daran, einen Menschen so zu sehen, wie er ist.