Vor uns stehen zwei Männer: ein Pharisäer, ein strenger Gesetzeshüter, und ein Zöllner, ein Sünder. Der Pharisäer, wie aus seinen Worten hervorgeht, beleidigte niemanden, achtete das Eigentum anderer, hielt moralisch strenge Prinzipien ein, fastete zweimal in der Woche und gab den Zehnten seines Einkommens an den Tempel.
Über die guten Taten des Zöllners wird nichts gesagt: Er war offensichtlich ein Sünder vor Gott und vor den Menschen. Warum hören wir aus dem Mund des Heilands, dass der Zöllner gerechtfertigter aus dem Tempel kam als der Pharisäer? Schließlich hat der Herr die strenge Gesetzestreue des Pharisäers nicht verurteilt! Ja, meine Lieben, er hat sie nicht verurteilt, denn gute Werke, wie der Gehorsam gegenüber der Stimme der Kirche, die Einhaltung der Gebote des Gesetzes Gottes und der Satzungen der Kirche, sind für unsere Erlösung unerlässlich. Jedoch sind unsere Werke nicht an sich heilbringend, sondern sie haben einen Wert in den Augen Gottes, sie erhalten eine aufrichtende und geistlich stärkende Kraft aus dem Inhalt, den wir in unsere Werke legen, sowie aus unserer inneren Haltung.
Der Pharisäer aber erstarrte im Buchstaben des Gesetzes, er erstarrte in der formalen Erfüllung der Gebote des Herrn. In ihm haben wir ein Modell des herzlosen Wohltäters, ein Modell seelenloser Arbeit, und kein Wunder, dass er die Trockenheit seines Herzens mit Arroganz krönte. Er wagt es, seine Treue zum Gesetz als etwas Besonderes darzustellen, und hatte beschlossen, dass er durch seine Gesetzeswerke im Vergleich zu anderen das Recht erworben hat, im Gebet erhört zu werden. Der Pharisäer ist ein treuer Spiegel der uns im Westen umgebenden Tugend.
So kam der Zöllner gerechtfertigter aus dem Tempel als der Pharisäer. Damit wir dies besser verstehen, lenkt der Herr unsere Aufmerksamkeit auf den Zustand der Herzen dieser beiden Söhne des alttestamentlichen Bundes. Ohne die Erfüllung des Gesetzes durch den Pharisäer zu verurteilen, weist uns der Herr auf die Hauptsache in unserer geistlichen Askese hin. Stolz steht vor Gott, wenn man sich entschlossen hat, gottähnlich zu werden. Der Stolz der rauchenden Funzel Lenins stürzte Russland in den Abgrund der Sünden, sowohl den Einzelnen, als auch die Gesellschaft und die Nation. Als Beispiel eines stolzen Menschen wird uns im heutigen Evangelium der Pharisäer gegeben. Durch Stolz und Eitelkeit zerstören wir unsere guten Taten. Die Güte, die reine, fruchtbare Güte, entsteht in der Demut und in der Einfachheit des Herzens. Ohne Demut aber gibt es weder moralisches noch geistiges Wachstum im Menschen.
Die Erfahrungen des geistlichen Lebens unserer Brüder in Christus, die das Ziel und den Sinn des Lebens erkannt haben, geben Beispiele für die Haltung, mit der wir durch die sich öffnenden Tore der vor uns liegenden heiligen vierzigtägigen Fastenzeit treten müssen. „Sag uns, Abba, wie soll man Buße tun?“, fragten die Jünger des sterbenden Abbas Agathon, der Heiligkeit erlangte und im Namen Christi staunenswerte Wunder vollbracht hatte. Der Altvater antwortete: „Ich selbst habe noch nicht mit der Buße begonnen.“ Und ein anderer Starez wurde gefragt: „Sag mir, wer sind die Gerechten und wer die Sünder?“ - Und der Starez antwortete: „Ich bin der Erste der Sünder, aber die Gerechten kennt der Herr.“ „Erkenne dich selbst“, sagte Starez Amwrosij von Optina. Und in der heutigen Evangeliumslesung weist uns der Herr an, mehr auf unsere persönlichen Unzulänglichkeiten zu achten. Dabei möge uns unser Hl. Schutzengel und unser Heiliger Namenspatron, dessen Name uns in der Taufe geschenkt wurde und den wir in unseren täglichen Gebeten anrufen, helfen. Amen.