Zwei Grundzüge der heiligen Maria Magdalena prägen sich unserer Seele besonders ein, wenn wir an sie denken: Erstens ihre glühende Liebe und völlige Hingabe an Christus, die in ihr den unbändigen Wunsch auslöste, in ständiger Gemeinschaft mit dem göttlichen Meister zu sein und nach seinem Tod vor allen anderen zum Grab zu eilen, "vor dem Morgen", um den Leib des Herrn zu salben, ungeachtet aller Gefahren. Der zweite Grundzug ist, dass sie sich ihrer feurigen, reinen Liebe nicht schämt, sich nicht vor Spott fürchtet und selbst dem Kaiser Tiberius in Rom über den auferstandenen Christus predigt.
Eine solche Liebe und unerschrockene Hingabe an Christus sucht man in den Herzen der modernen Menschen vergeblich. Die Herzen der heutigen Menschen, von weltlichen Sorgen und dem Verfallen sein an weltliche Dinge und Personen erschlafft, können das Maß der Liebe Mariens nicht fassen. Übrigens erfordert wahre Liebe ungeteilte Hingabe. Die reine und glühende Liebe der Braut ist ein in der Heiligen Schrift häufig verwendetes Bild für die wahre Liebe zu Gott. Die Braut vergisst alles um sich außer sich vor Liebe, und obwohl sie nicht alle Gewohnheiten ihres früheren Lebens ändert, misst sie alles an dem Maß der Liebe, die sie in ihrem Herzen trägt. Sollten wir unsere Bindung an die Dinge und Personen dieser Welt nicht auf dieselbe Weise bewerten?
Um diese Kälte zu erklären und zu entschuldigen, wird heutzutage oft gesagt, dass nur Wüstenbewohner eine solch ungeteilte Liebe zu Gott haben sollten, nicht aber Menschen, die in der Welt leben. Ist das so? Und die Apostel, die sagten: "Entschlossen sein und bei Christus sein ... ist unvergleichlich besser ... Denn für mich ist das Leben Christus und der Tod ein Gewinn" (Phil. 1, 23, 21)? Und die Märtyrer von Christus und die Märtyrer? Haben nicht Letztere, als sie für Christus auf die Marter gingen, gesagt: "Ich liebe Dich, mein Bräutigam, und ich leide, und ich suche Dich, und ich leide, und ich werde begraben, und ich werde in Deiner Taufe begraben"; "Mein liebster Bräutigam, Christus ...! Denn die Süße Deiner Liebe wohnt in meiner Seele, und die Schönheit Deiner Gnade erfreut mein Herz." Wie viele haben ihren zeitweiligen Bräutigam für Christus verlassen, besonders wenn dieser nicht an Christus glaubte!
Oder noch häufiger versuchen sie, die geistige Kälte zu rechtfertigen, indem sie die Kirche und ihre Hirten dafür verantwortlich machen. Als ob die Gesellschaft dank der Kirche selbst in der Person ihrer Hirten gegenüber der Religion erkaltet, weil die Hirten die Kirche den Menschen „als Licht und Freude“ völlig unzugänglich gemacht haben (W. Rosanow, „In der Nähe der Kirchenmauern“). Aber sind die Hirten der Kirche wirklich allein für die geistige Abkühlung der Gesellschaft verantwortlich? Bevor man die Kirche Christi und ihre Hirten anklagt, sollte sich da die Gesellschaft nicht fragen, welche Art von Freude sie in der Religion sucht, ob es diejenige ist, zu der Christus die Menschen aufruft, oder die übliche sinnliche, ohne deren Beimischung ihr der Glaube an Christus stumpf und tot erscheint? Will sich die Gesellschaft nicht allzu leicht von der Schuld ihrer geistlichen Kälte freisprechen, indem sie sich darüber beklagt, dass sie von den Hirten der Kirche nicht mitgerissen wird? Fehlt es ihr an freiem Willen, sich irgendwie gegen ihren Willen und ohne eigene Anstrengung mitreißen zu lassen? Macht sie diese Anstrengung?
Ruft nicht „die Weisheit (Christus) immer noch ... zu den Menschenkindern ... auf den Höhen, am Wege, auf den Hügeln“ (Sprüche 8,1.2.4), d.h. unaufhörlich und überall? Verschließt sich die Gesellschaft nicht freiwillig der wichtigsten Quelle des geistlichen Feuers, dem Wort Gottes, das ihr fast unbekannt ist, oder den noch weniger bekannten feurigen Liedern der Kirche und den Geschichten über die großen Taten der Heiligen, die durch das Feuer der Gnade des Heiligen Geistes gereinigt wurden? Wenn dem so ist, sind die Hirten der Kirche immer in der Lage, die verstreuten Kinder der Kirche zu sammeln, oder wenn sie eine öffentliche Versammlung vorfinden, die äußerlich im Namen der Religion vereint ist, ist es dann nicht oft eine große Mühe, gerade die Seelen aus der Zerstreuung herauszuführen?
Deshalb sollten wir unsere geistige Kälte, an der wir in erster Linie selbst Schuld haben, nicht allzu leicht rechtfertigen. Sammeln wir selbst fleißig Strahlen des geistigen Lichts und der Wärme, so wie das Glas Licht- und Wärmestrahlen sammelt, damit unser Herz, von diesem Strahlenbündel entfacht, brennen kann! Wie viele Licht- und Wärmestrahlen könnten wir zum Beispiel aus den Gedenktagen an die Heiligen sammeln, deren Gedächtnis die heilige Kirche in diesen Tagen feierte! Sie erinnerte an den heiligen Propheten Elias, der „mit Eifer für den allmächtigen Gott eiferte“, als Israel statt des einen wahren Gottes die Götzen anzubeten begann.
Wäre dieser Prophet in seinem feurigen Eifer nicht auch jetzt sehr betrübt, wenn er die geistige Kälte so vieler Christen sähe, ihren Unwillen, von Gott und dem geistlichen Leben zu hören? Natürlich beten die Christen keine wirklichen Götzen an, wie es Israel tat, als es den einen Gott verließ, aber haben sie diese Götzen nicht durch verschiedene Leidenschaften ersetzt, deren grobe Verkörperung die Götzen letztlich darstellen? Auch gedenkt die heilige Kirche noch des Propheten Ezechiel, dessen Seele von „Weinen, Seufzen und Trauer“ über die Ungerechtigkeit Israels erfüllt war (Ez 2,10), der aber umso sehnlicher die Erneuerung und Erweichung der groben und grausamen Herzen Israels erwartete und seinen Geist mit Visionen des geheimnisvollen Tempels tröstete, des herrlichen Heiligtums, das der Herr in den Herzen Israels errichten würde (Ez 36,25-26). Hätte dieser Prophet die geistliche Erneuerung und Erweichung der Herzen heutzutage gesehen, die er sehnlichst erwartete, wo die Christen nicht nur ihr Herz nicht zu einem Heiligtum für den Herrn machen wollen, sondern im Gegenteil versuchen, ihm so wenig Raum wie möglich in ihrem Herzen zu lassen, indem sie es fast ganz vom weltlichen Leben eingenommen wird, das ohne Leidenschaften undenkbar scheint, als wäre es ohne seinen aufrecht erhaltenden Atem? In diesen Tagen erinnerte sich die heilige Kirche an den Hl. Seraphim, die brennende und leuchtende Lampe des Klosters von Sarow. Wie viel Licht, Wärme und Freude verbreitete und verbreitet er noch immer für diejenigen, die sich in seine Einsiedelei begeben (und sei es nur in Gedanken), um sich “an seinem Licht zu erfreuen”! Es ist wahr, dass von Zeit zu Zeit Strahlen dieses geistigen Lichts in unseren Herzen aufflackern, aber wie kurz ist ihre Wirkung, und wie kurz sind die Spuren, die sie in unserer Seele hinterlassen! Wie schwach ist ihr Flackern im Vergleich zu dem beständigen Licht, mit dem der Geist des Hl. Seraphim brannte, erfüllt von beständiger Demut und Freude!
Sammeln wir also mit größerem Eifer und größerer Sorgfalt die Strahlen des geistlichen Lichtes und der Wärme, die uns von überall her aus dem Wort Gottes, aus den Liedern der Kirche, aus dem Leben der Heiligen der Kirche usw. zufließen, damit durch diese Arbeit an unseren Herzen deren Kälte auf Dauer vertrieben wird, damit auch unser Geist entflammt wird wie der Geist der heiligen Maria Magdalena und der anderen Heiligen! Amen.