Fresco - Heilung des Blindgeborenen
Metropolit Antonij von Surosch
Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit heute auf zwei Grundgedanken des heutigen Evangeliums lenken. Zum einen vollbrachte unser Herr Jesus Christus immer wieder Wunder am Sabbat und rief damit die Entrüstung jener hervor, die das Gesetz in seiner ganzen Strenge befolgten und fanatisch bewahrten.
Aber nicht um sie zu beleidigen, trat Christus so auf. Gott hat die Welt in 6 Tagen erschaffen, und am siebten Tag ruhte Er von seinen Mühen aus und übergab die Welt in die Hände und Fürsorge des Menschen. Die ganze Geschichte, von der Erschaffung der Welt bis zur Zweiten Wiederkunft Christi, ist der Tag des Menschen, an dem der Mensch die Früchte seines Schaffens erbringen soll, an dem er die Schöpfung zur Vollendung führen soll, das Geschöpf mit seinem Schöpfer wieder vereinen.
Der Mensch wurde seiner Berufung untreu. Wir waren dazu berufen, die Welt zur Vollendung ihrer Schönheit und Harmonie mit Gott und mit sich selbst zu führen, aber wir verunstalteten sie und machten sie zu einem Scheusal. Dann kam Christus, der einzige authentische Mensch, der einzige Mensch in vollkommener Harmonie mit Gott, der einzige Mensch, der fähig war, jene Aufgabe zu erfüllen, die dem Menschen aufgetragen war. Und als Er seine Wunder am Sabbattag vollbrachte, war dies der Appell an uns, mit der Geschichte in Beziehung zu treten, mit unserem Tag, jenem Tag, an dem wir leben, als dem Tag, den Gott unserer Sorge übergab, um aus ihm den Tag des Herrn zu machen.
Fresco - Heilung des Blindgeborenen
Der andere Grundgedanke, der in direkter Verbindung zum ersten steht, beinhaltet folgendes. Wenn wir im Evangelium über die Taten Gottes, Seine Predigten, Seine Wundertaten, lesen, dann wenden wir uns Ihm in der Hoffnung zu, dass Er auch an uns ein Wunder vollbringt. Und wir vergessen, dass Christus sagte, dass Er uns ein Beispiel gegeben hat, dem wir folgen sollen. Das, was Er schuf, sollen auch wir erschaffen, und dass wahrlich gemäß Seines Wortes, wer an Ihn glaubt große Dinge tun kann, ähnlich den Wundern, die Er tat…
Unsere Berufung besteht darin, die Welt umzugestalten, sie in ihrem Ursprung selbst zu verändern, aber nicht darin Gegenstand der beständigen Fürsorge Gottes zu sein. Wir Christen haben das Christentum blutleer gemacht, wir machten es kraftlos und schwach, in dem wir uns zur Geschichte nicht wie zum Tag des Menschen verhalten, an dem es uns obliegt zu erschaffen, sondern wie zu einem Zeitpunkt, an dem Gott ununterbrochen auf uns kleine Herde all Seine Hilfe, Seine Gnade und Sein Erbarmen ausgießen sollte. Am Abend Seiner Auferstehung beauftragte Er uns, in die Welt zu gehen, wie Er gegangen war, als Boten der Liebe, als Boten Gottes in die Welt zu gehen und unseren Auftrag zu erfüllen, wie Er ihn erfüllte – unter Einsatz Seines Lebens, damit andere leben. Er nahm den Tod auf sich, damit andere weiterleben.
Wir sind sehr weit entfernt von unserer Berufung; wir laufen zu Gott und bitten Ihn um Hilfe, in genau dem Moment, in dem Er uns befiehlt, aufzubrechen und vorwärts zu gehen, um Ihn in der Welt zu vergegenwärtigen. Der Apostel Paulus wusste davon, als er sagte, „…und was an den Drangsalen Christi noch fehlt, will ich an meinem Fleisch (mit meiner ganzen Existenz, mit Leib und Seele) ausfüllen zugunsten Seines Leibes, …“
Fresco - Heilung des Blindgeborenen
Christus ruft uns auf, uns ganz zu vergessen, uns selbst zu verleugnen, denn wir selbst stellen den Stein des Anstoßes dar, der uns daran hindert, unsere Berufung zu erfüllen durch unsere Angst um unseren Leib, durch unsere Angst ausgelöst von moralischen oder geistigen Leiden, durch die Angst vor allen Dingen, die wir berufen sind zu tun. Wir ängstigen uns vor dem Tod, wo ist hier unser Glaube? Wir trauern, wenn irgendjemand stirbt, obwohl wir wissen, dass der Tod nicht mehr existiert, dass es nur ein zeitliches Entschlafen ist, bis schließlich die lebendige Seele sich freut, vor dem Angesicht des lebendigen Gottes zu stehen. …
Wir sollen lernen uns selbst zu entäußern, wenn Angst, Gier oder irgendetwas anderes sich in uns ansammelt und uns daran hindert, dass zu tun, wozu wir berufen sind: Boten der Göttlichen Liebe, des Göttlichen Mitleids, der Göttlichen Wahrheit zu sein. Dann müssen wir uns selbst sagen: Hebe dich hinweg, Satan, Gegner, Feind Gottes, denn du willst nicht, was Gott will. …
Wenn wir wirklich Christen wären, dann sollten wir, entsprechend der Offenbarung des Johannes, die Worte des Geistes und die Worte der Kirche wiederholen: Maranatha! Komm, Herr Jesus, komme bald … Aber wir, das heißt viele von uns, haben keine Sehnsucht, dürsten nicht nach diesem Kommen, weil wir wissen, dass Sein Kommen das Ende aller Dinge auf Erden bedeutet und unsere Auferweckung vor dem Angesicht Gottes ist.
Wir sind in die Welt gesandt, um wie Christus zu sein, und das einzige, was uns hindert, ist unsere Unfähigkeit, uns selbst zu entäußern, uns selbst zu verleugnen, damit wir unsere Sendung erfüllen können. Der blinde Mensch begegnete Christus von Angesicht zu Angesicht. Christus hat ihn geheilt. Wie viele Blinde gibt es um uns herum – nicht physisch blind, sondern von einer viel schlimmeren Blindheit betroffen, denn sie sind blind für den Sinn des Lebens, blind für die Liebe, blind für das Mitleid, blind für alles, was das Leben in einen Kampfplatz verwandeln und zum Sieg führen kann …
Wir sollen gehen, wie es Christus tat und uns selbst vergessen, unser Kreuz nehmen, Ihm folgen, denn Er hat gesagt, wenn wir irgendwohin wollen, dann müssen wir Ihm nachfolgen. Dies ist Sein Appell an uns heute. Das, was zur Zeit des Erdenlebens Christi geschah, das soll auch heute geschehen, wenn wir den fleischgewordenen Leib Christi darstellen. Und wenn wir dazu nicht fähig sind, dann sollten wir uns direkte und harte Fragen stellen und sie erbarmungslos, ohne Selbstmitleid beantworten. Wir sollen solche Christen werden, die dem entsprechen wie wir sein sollten und wie wir berufen sind zu sein: Christen, in denen andere Menschen Christus selbst erfahren können.
(Predigt vom 11. Mai 1980)