Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes!
Liebe Brüder und Schwestern,
Während der Großen Fastenzeit hören wir am Ende eines jeden Gottesdienstes das kurze, anrührende Gebet des heiligen Ephraim des Syrers: „Herr und Gebieter meines Lebens, den Geist des Müßiggangs, des Kleinmuts, der Herrschsucht und der Geschwätzigkeit gib mir nicht. Schenke hingegen mir, deinem Knecht, den Geist der Keuschheit, Demut, Geduld und Liebe! Ja, Herr, mein König, lass mich meine Sünden erkennen und nicht meinen Bruder richten, denn Du bist hochgelobt in alle Ewigkeit. Amen.“
Dieses Gebet ist kurz, besteht aus nur zehn Bitten, aber in seiner Kraft der Zerknirschung des Herzens und des reumütigen Geistes übertrifft es viele andere Gebete, und deshalb ist es üblich, es in der Großen Fastenzeit zu lesen, wenn die Kirche uns zur Erneuerung unserer Seele aufruft, zur Askese der Selbstprüfung, zum intensiven Gebet, zur Buße und zur Reinigung von unseren Sünden. Jedes Wort dieses Gebets schwingt in unserer Seele mit und hilft uns, unsere Laster und Tugenden zu erkennen, und bereitet uns darauf vor, bei Gott um Hilfe zu bitten.
Der Verfasser dieses Gebets, der Mönch Ephraim der Syrer, hat sein ganzes Leben lang geweint, und deshalb ist sein Gebet erfüllt von einem tiefen, reuevollen und zu gleich erbaulichen Trost.
Der heilige Ephraim beginnt sein Gebet mit dem Anruf Gottes: "Herr und Gebieter meines Lebens ...". Das Wort Gottes offenbart uns, dass unser Leben mit Gott verbunden ist, von Ihm abhängt und von Ihm bewahrt wird. In seinen barmherzigen Händen liegt das Schicksal der Gerechten und der Ungerechten, der Guten und der Bösen und der gesamten Pflanzen- und Tierwelt. Niemand und nichts kann auch nur einen Tag oder eine Stunde ohne seine schöpferische Kraft existieren – den Heiligen Geist, der die Existenz jedes geschaffenen Lebewesens aufrechterhält. Wenn wir Gott in unseren Herzen fühlen, können wir daher kein Werk auf Erden beginnen, fortsetzen oder abschließen, ohne zu Ihm zu beten, ohne den Segen Gottes zu erbitten. Gott ist wirklich der Herr, das Oberhaupt, der Gebieter unseres Lebens.
In der ersten Bitte bittet der heilige Ephraim Gott, ihm nicht den Geist des Müßiggangs zu geben. Müßiggang versteht man als Faulheit und Nachlässigkeit gegenüber den notwendigsten Lebensangelegenheiten des Alltags und vor allem gegenüber dem eigenen Seelenheil. Diese Nachlässigkeit kann eine Person unbeweglich werden lassen, zur völligen Stagnation im geistlichen Leben und in den notwendigen weltlichen Angelegenheiten führen. Äußerer Müßiggang ist für fast jeden verständlich, denn wir alle sind mehr oder weniger Betroffene dieser Geisteskrankheit, wenn wir uns der Nachlässigkeit, Faulheit ergeben und uns erlauben, unsere häuslichen Gebete zu vernachlässigen, wir verzichten auf den Kirchenbesuch oder, wenn wir es zulassen, im Gebet zu hasten, um unser Gebet so schnell wie möglich zu beenden und uns der Ruhe oder dem eitlen Geschwätz hinzugeben; aber wenn diese Krankheit alle unsere geistigen Kräfte angreift, dann stellt sich ein schwieriger moralischer Zustand ein. Ein solcher Mensch lebt dann kein normales, wirkliches Leben, weil er in seiner Seele keinen beständigen lebenschaffenden Ursprung für eine normale Tätigkeit hat, sondern ein gespenstisches, imaginäres Leben führt, das sinnlos ist, niemandem nützt. Er frönt gerne nutzlosen Träumen und leeren Gesprächen, ist aber häufig zu keiner guten Tat fähig. Dieser Müßiggang, Erschlaffung und Saumseligkeit führen uns von unserer Hauptaufgabe, der Sorge um unsere Errettung, weg. Deshalb beten wir, dass der Herr uns von diesem Übel befreien möge.
In der zweiten Bitte bittet der heilige Ephraim den Herrn, ihn von der Bedrängnis es Kleinmutes bzw. der Niedergeschlagenheit zu befreien. Niedergeschlagenheit ist ein so düsterer, trostloser Geisteszustand, wenn einem Menschen alles im Leben von der dunklen Seite her gezeigt wird. Er freut sich über nichts, nichts befriedigt ihn, das Leben scheint ihm unerträglich, er schimpft über alles, ärgert sich und dann wird das Leben für den Menschen zur Last. Und sehr oft führt dieses Laster zu einem anderen, gefährlicheren Geisteszustand, der als Verzweiflung bezeichnet wird, besonders wenn ein Mensch oft den Gedanken an einen vorzeitigen Tod zugibt und den Tod als Segen auf dem Weg seines irdischen Lebens betrachtet. Der Verzweiflung nachzugeben bedeutet, die Kommunikation mit der Außenwelt abzubrechen und keine Gemeinschaft mit der Quelle unseres Lebens, mit Gott, mehr zu haben. Niedergeschlagenheit erwächst, wie die heiligen Väter lehren, aus demselben Laster wie Faulheit, Mangel an Glauben, Unglauben, Unbußfertigkeit in seinen Sünden. Frühere Wut oder Beleidigungen, die jemandem zugefügt wurden, das Fehlen von Gottesfurcht, Ausschweifungen, Versäumnisse bei der Arbeit und ähnliches können ebenfalls zu Kleinmut führen. „Ich will nicht leben, ich habe das Interesse am Leben verloren, und es gibt keinen Sinn im Leben“, solche Worte kann man von einer Person hören, die von der Krankheit der Verzweiflung befallen ist. Da dieses Laster schwerwiegend ist, bittet der Mönch den Herrn, ihn von dieser Krankheit zu befreien. Es ist notwendig, gegen dieses Laster mit beharrlichem, unerbittlichem Gebet zu beten. Unser Erlöser lehrt uns im Evangelium, dass wir niemals den Mut verlieren, sondern immer beten sollen. Beharrliches, inständiges Gebet, verbunden mit dem Glauben an die Kraft des Gebets und Gottes Hilfe, kann die Verbindung mit der Außenwelt wiederherstellen und vor Mutlosigkeit bewahren.
Mit dem Gebet muss man die Mühe der Gewissensreinigung im Bußsakrament verbinden, das uns ebenfalls Gottes Gnade und geistliche Kraft schenkt, geistliche Bücher lesen und nach den Geboten Gottes leben - dies ist der beste Weg, sich vor dem zerstörerischen Geist der Niedergeschlagenheit zu schützen.
In der dritten Bitte bittet der heilige Ephraim den Herrn, ihn vom Geist der Herrschsucht zu befreien. Das Laster der Herrschsucht ist unserer sündigen, stolzen menschlichen Natur innewohnend und manifestiert sich in allen Bereichen des menschlichen Lebens. Zum Beispiel beim Familienvater in Bezug auf die Familie, beim Vorgesetzten gegenüber seinen Untergebenen, beim Lehrer seinen Schülern gegenüber, bei den Älteren gegenüber den Jüngeren. Und jeder will andere seinem Einfluss unterordnen, ihnen seinen Willen diktieren. Eine solche geistliche Gesinnung widerspricht den Lehren des Evangeliums, den Lehren Christi, der selbst ein Beispiel tiefer Demut aufzeigte und wiederholt sagte: Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein (siehe: Mt 20, 26 und Mk 10, 43). Versteckter, heimlicher Stolz ist mit diesem Laster verbunden, und wenn wir die Sucht haben, andere zu belehren, zu unterweisen, zu tadeln, dann ist dies ein Zeichen der Besessenheit unserer Seele von dem Laster der Machtgier, der Herrschsucht. Deshalb beten wir zum Herrn, uns von diesem Laster zu befreien und dieser Sucht nicht zu erlauben, die Seele vollkommen in Besitz zu nehmen. Ehrgeiz ist für alle diesen Menschen Umgebenden übel und macht diesen Menschen unfähig, seine Leidenschaften und Laster zu bekämpfen.
In der vierten Bitte bittet der heilige Ephraim den Herrn, ihn vom Laster der Geschwätzigkeit zu nehmen, von dem auch alle Menschen befallen sind. Die meisten Menschen leiden an diesem Übel. Die Menschen lieben es zu klatschen, während die Gabe des Wortes gegeben wird, damit wir Gott mit unseren Lippen verherrlichen und durch das Wort Gemeinschaft miteinander haben, die der gegenseitigen Erbauung dient. Es gibt ein weises Sprichwort, dass „Sprechen Silber und Schweigen Gold ist“. Und diese Regel wurde von vielen Heiligen eingehalten, die ihren Mund schlossen, obwohl es aus erbaulichen Gründen notwendig war, ihn zum Gespräch zu öffnen. Mit seiner Geschwätzigkeit leert ein Mensch die Seele, entspannt sie und zerstreut sie.
Schauen wir uns an, wie unser Erlöser kurz und bündig, also mit wenigen Worten seine Lehren und Anweisungen gab.
Das Vaterunser besteht aus nur sieben Bitten, die Seligpreisungen beinhalten neun Verse. Die Engel im Himmel preisen Gott ebenso mit wenigen Worten: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heerscharen!“ (Jesaja 6:3). Wie ein Gefäß, das häufig geöffnet wird, Konzentration und Wohlgeruch der aromatischen Substanz nicht bewahrt, so verhält sich die Seele einer Person, die gerne viel redet. Sie kann nicht lange gute Gedanken und Gefühle bewahren, sondern Worte der Verurteilung, Verleumdung, der Schadenfreude und Lüge verbreitet. Deshalb betet die Kirche während der Fastenzeit: „Herr, stell eine Wache vor meinen Mund, eine Wehr vor das Tor meiner Lippen! Gib, dass mein Herz sich bösen Worten nicht zuneigt, dass ich nichts tue, was schändlich ist, zusammen mit Menschen, die Unrecht tun.“ (Ps. 141,3f.). So wie Unkraut den Boden verunreinigt und verhindert, dass gute Körner darauf wachsen, so töten leere, faule Worte die Seele und lassen gute Gedanken und Gefühle nicht darin Wurzeln schlagen.
Also, liebe Brüder und Schwestern, wenn wir uns an all dies erinnern und es bewahren, dann werden wir die Gnade Gottes mit Sicherheit an uns ziehen und unserem himmlischen Vater lieb sein. Wir werden würdig sein, das himmlische Jerusalem zu sehen und mit den himmlischen Kräften und den Seelen der Gerechten glückselig werden. Und deshalb werden wir immer öfter, aber besonders in den Tagen der Großen Fastenzeit, ausrufen:
„Herr und Gebieter meines Lebens, den Geist des Müßiggangs, des Kleinmutes, der Herrschsucht und der Geschwätzigkeit gib mir nicht. Schenke hingegen mir, deinem Knecht, den Geist der Keuschheit, Demut, Geduld und Liebe! Ja, Herr, mein König, lass mich meine Sünden erkennen und nicht meinen Bruder richten, denn Du bist hochgelobt in alle Ewigkeit. Amen.“