Über das Verzeihen

26. Februar 2023

Archimandrit Kirill Pawlow

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Geliebte Brüder und Schwestern,
Ab morgen werden wir mit der großen Herausforderung des heiligen Fastens beginnen. Was ist der beste Weg und wie können wir dieses große Werk beginnen?

Die Heilige Kirche weist uns an, durch Fasten und Buße gemäß dem Gebot des Evangeliums nach Versöhnung mit allen unseren Brüdern in Christus zu streben, nach Vergebung und Verzeihung all ihrer Schuld vor uns.

Vergebungssonntag

"Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben.” sagt der Herr selbst im heutigen Evangelium: "Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben" (Mt 6,14). Dies ist die erste und notwendige Voraussetzung für unsere Versöhnung mit Gott, für unsere Reinigung und Lossprechung von unseren Sünden.

Ohne diese aufrichtige Versöhnung mit allen, ohne dieses Auslöschen des Leids und die Beendigung der Feindschaft untereinander, ist es unmöglich, die heilige Zeit des Fastens und der Umkehr zu beginnen. Warum? Denn erstens: Der Herr, unser Gott, selbst ist ein Gott des Friedens und nicht der Zerstörung (1 Kor 14, 33). Wie ist es denn möglich vor Gott zu treten, wenn Feindschaft und Bosheit im Herzen wohnt, wenn er keinen Frieden, keine Liebe und keine Heiligung mit den anderen hält? Jagt dem Frieden nach mit jedermann und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird (Hebr 12,14).

Zweitens, weil das Reich Gottes die lichte Gemeinschaft der Söhne Gottes, die heilige Familie des himmlischen Vaters, ein Reich des Friedens, der Liebe, der und Einigkeit, ein Reich der Güte, der Nächstenliebe, der Sanftmut, der Demut und der Geduld ist. Kann derjenige zu ihm gehören, der in seinem Herzen Kummer, Groll und Bosheit gegen seinen Bruder hegt, der keine Einmütigkeit und keinen Frieden mit seinem Nächsten, seinem Miterben dieses Königreichs hat? Der Friede ist das höchste Gut, das der Herr Jesus Christus als kostbares Erbe seinen Jüngern hinterließ, als Er sie seines Leidens wegen verließ. „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch" (Joh 14,27). Der Friede ist das höchste Glück, mit dem Er vor allem seine Freunde bei Seiner Auferstehung von den Toten begrüßte.

Er stand in ihrer Mitte und sagte zu ihnen: "Friede sei mit euch" (Lk 24,36). Wer sich selbst dieses geistigen Schatzes durch Feindschaft und Bosheit beraubt, der beraubt sich selbst des ewigen Erbes des Reiches Gottes, das Gott denen vermacht hat, die ihn lieben.

Ikone von Jesus Christus

Der Friede ist ein Gnadengeschenk des Heiligen Geistes, und deshalb ist sein Vorhandensein oder deren Fehlen im Herzen eines Menschen ein Hinweis darauf, ob der Geist Gottes in ihm wohnt oder der Geist des Bösen, der von Natur aus ein Geist der Bosheit und Feindschaft ist.

Der Platz eines Menschen, der Bosheit und Missgunst gegenüber seinem Bruder empfindet, ist nicht im Reich des Friedens, sondern mit den in die Hölle verdammten Dämonen.

Es liegt auf der Hand, dass ohne eine aufrichtige und tief empfundene Versöhnung mit allen unseren Brüdern in Christus die gnadenvollen Mühen des Fastens

für uns fruchtlos wären, so sehr wir uns auch bemühen würden, das Fasten nach den Regeln der kirchlichen Satzung durchzuführen. Was nützt es uns zu fasten und uns strikt der körperlichen Nahrung zu enthalten, wenn wir mit unserem Zorn und unserer Dickköpfigkeit die Seelen und Herzen unserer Nächsten verzehren.

Wenn wir Angst haben, unsere Lippen mit einer verbotenen Speise zu verunreinigen, aber keine Angst davor haben, dass aus unserem Mund, wie stinkender Qualm aus dem Ofen, Worte der Verurteilung, der Verleumdung und der Heuchelei sowie gefüllt mit sarkastischem Spott, voll von Ansteckung und Versuchung für die Seele. "Das ist nicht die Art von Fasten, die ich kenne", sagt der Herr durch den Propheten Jesaja, "Daher macht ein Ende mit aller Ungerechtigkeit, nehmt den Betrug von euren Seelen. Lasst ab vom Bösen und lernt, Gutes zu tun" (vgl. Jesaja 58, 5-7).

Weder das Fasten noch irgendein Martyrium sind ein Ersatz für die Liebe zu unseren Nächsten, jener Liebe, die langmütig und barmherzig ist, die keine Eifersucht kennt, nicht hochmütig, nicht stolz ist, die nicht rachsüchtig, nicht rücksichtslos ist, sich nicht reizen lässt, nichts Böses denkt; sondern alle liebt und alles erträgt (1 Kor 13,4-7).

Wenn wir in die Kirche zum Gebet nicht mit einem versöhnten Herzen kommen kommen, dann werden wir vom Herrn hören: „Wenn ihr beim Gebet steht, vergebt von ganzem Herzen, wenn ihr etwas gegen jemanden habt“ (vgl. Mk 11, 25). Was nützt sonst das Gebet, wenn wir mit denselben Lippen, mit denen wir den Herrn verherrlichen, unseren Bruder verfluchen, wenn wir Gott unseren Vater nennen, und unsere Nächsten, die der himmlische Vater seine Kinder nennt, verleumden, hassen und durch Rachsucht leiden lassen. Was nützt das Gebet, wenn wir uns äußerlich demütigen und uns als die Letzten bezeichnen, aber innerlich wie die Pharisäer sagen: „Ich bin nicht wie die anderen Menschen, die Räuber und Ehebrecher oder wie dieser Zöllner“ (Lk 18,11). Wenn wir das Gebet des hl. Ephraim des Syrers sprechen: „Herr, lass mich meine Sünden erkennen, und nicht meinen Bruder verurteilen.“, dann aber stellen wir uns als unversöhnliche Richter von allem und jedem auf, dann bemerken wir einen Splitter im Auge unseres Bruders, den Balken im eigenen Auge aber bemerken wir nicht (vgl. Mt 7,3).

Über solche Beter hat sich bereits Gott durch den Mund des Propheten Jesaja geäußert: „Weil dieses Volk sich mir nur mit Worten nähert und mich bloß mit den Lippen ehrt, sein Herz aber fern hält von mir, ... darum will auch ich in Zukunft an diesem Volk seltsam handeln, so seltsam wie es niemand erwartet“ (Jes 29,13).

Und der Herr selbst spricht: „Nicht jeder, der zu mir sagt: «Herr! Herr!», wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt“ (Mt 7,21). Was nützt es uns schließlich, wenn wir selbst vor dem Thron Gottes bereuen und mit verhärtetem Herzen um Vergebung unserer Sünden bitten, dem Nächsten aber nicht vergeben und uns nicht mit ihm versöhnen? Wie der Herr sagt: „Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben“ (Mt 6,14).

Was nützt eine solche Reue, wenn einige im Tempel auf ihr Angesicht fallen, um Vergebung ihrer Sünden bitten, aber nach Verlassen der Kirche bereit sind, über ihre Nächsten herzufallen. Mit ihren Lippen bringen sie Buße, aber in ihren Herzen verbergen sie Zorn und Rache. Sie bitten den Herrn um Vergebung, ohne ihren Stolz zu demütigen, ohne ihre Selbstliebe und Eitelkeit abzulegen und ohne ihren beleidigten Bruder um Vergebung zu bitten?

Wer will, dass die Reue als ein gottgefälliges Opfer angenommen wird, der muss nicht nur die Sünden seines Bruders von ganzem Herzen vergeben, um sich nicht an sie zu erinnern, sondern muss auch versuchen, seinen Bruder zur gleichen Vergebung zu bewegen, ihn von einem Feind zu seinem Bruder zu machen, mit dem er einmütig und in Gedanken übereinstimmt. Ohne solch ein Bemühen ist es egal, von wie viel Sünden uns der Beichtvater losgesprochen hat, der durch die Feindschaft gebundene Geist wird nicht losgelöst, und der himmlische Vater wird uns unsere Sünde nicht vergeben. Der Herr spricht: „Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe (Mt 5,23).

Geheimnis des Heiligen Abendmahls

Wenn wir es wagen, uns dem Geheimnis des Heiligen Abendmahls zu nähern, dem Opfer, das vor allem aus Liebe des eingeborenen Gottessohnes zum Menschengeschlecht gebracht wurde, ohne wahre Liebe zueinander, wäre das nicht eine Beleidigung der höchsten Liebe Gottes?

Mit einem Geist der Bosheit, Rache und Feindschaft gegenüber unseren Nächsten treten wir ins Heiligtum und verachten so das Blut des Herrn.

Liebe Brüder und Schwestern, die frühen Christen hatten einen guten und frommen Ritus am Vergebungssonntag, sich gegenseitig um Vergebung zu bitten. Folgen auch wir diesem guten Brauch und rufen unsere Mutter, die Heilige Kirche, an, um einander um Vergebung zu bitten, besonders diejenigen, von denen wir wissen, dass sie auf irgendeine Weise gekränkt sind. Aufgrund der Schwäche unserer Natur sowie der den jetzigen Bedingungen geschuldeten Lebensumstände sind Auseinandersetzungen und Ärgernisse unvermeidlich. Deshalb werden wir versuchen, unsere Seelen und gegenseitigen Beziehungen durch gegenseitige Vergebung in Einklang zu bringen.

Im Kiewer Höhlenkloster lebten zwei Mönche, die waren durch enge Bande gegenseitiger Liebe und Freundschaft verbunden. Durch den Neid des Teufels verschwand diese Freundschaft zwischen ihnen, und es herrschte eine solche Feindschaft und ein solcher Hass gegeneinander, dass sie sich nicht einmal ansehen wollten; in der Kirche beräucherten sie sich nicht gegenseitig, sondern gingen einfach vorüber. Einer von ihnen, Priestermönch Titus, wurde schwer krank und als er den nahenden Tod spürte, begann er durch Boten seinen Bruder, den Diakon Evagrios, um Vergebung zu bitten, aber er antwortete nicht. Dann wurde er gewaltsam an das Bett des Sterbenden gebracht. Titus stand vom Bett auf und sagte: "Verzeih mir, mein Bruder, vielleicht habe ich dich als Mensch irgendwie beleidigt."

Aber Evagrios antwortete: „Ich werde dir weder in diesem noch im nächsten Leben vergeben." Und bei diesen Worten fiel er tot um, sodass die Brüder weder seine Hände auf die Brust legen noch seinen Mund schließen konnten, da sein Körper zugleich steif wurde. Titus hingegen stand gesund auf. Und als die Brüder fragten, wie es zu diesem Ereignis gekommen sei, antwortete Titus, dass als Evagrios solche Worte sprach, der Engel des Herrn ihn schlug, aber ihn, Titus, vom Krankenbett erhob.

Also, liebe Brüder und Schwestern, lasst uns allen aus tiefstem Herzen vergeben und mit versöhntem Herzen lasst uns in die Zeit des heiligen Fastens eintreten und den Herrn um Vergebung unserer Sünden bitten. Erinnern wir uns dabei immer an die Worte des heiligen Apostels Paulus: „Wenn es euch möglich ist, haltet Frieden mit allen Menschen, dann wird der Gott des Friedens mit euch sein“ (Röm 12,18; 15,33). Amen.

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