Briefe an meine geistlichen Kinder. Teil 12

26. Januar 2022

Briefe an meine Geistlichen Kinder

IGUMEN NIKON (WOROBJOW)

Briefe an Menschen in Kozelsk, die einen monastischen Weg gewählt haben

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Du hast mich gebeten, dir zu schreiben. Wer am Ertrinken ist, greift nach einem Strohhalm. So suchst auch du in deiner seelischen Zerrüttung Hilfe bei deinen Mitmenschen. Meine eigene Erfahrung hat mich aber dazu gebracht, dass uns niemand helfen kann: weder wir uns selbst noch andere Menschen. Nur der Herr. Dein seelischer Zustand wird nicht nur nicht besser, sondern erscheint von Zeit zu Zeit unerträglich zu sein, auch deshalb, weil du kaum auf Gott vertraust. Du schaust auf deine Sünden und befindest zu Recht, dass du wegen ihrer um der Gerechtigkeit willen im zukünftigen Leben wirst leiden müssen, ja sogar schon hier vor dem Tod wie auch nach dem Tod in den Flammen des ewigen Feuers usw. Wenn man so denkt, dabei aber die Liebe Gottes vergisst, kann man in der Tat in völliger Verzweiflung enden. Kann ein Christ etwa so denken?

Warum hätte der Herr Jesus Christus, wenn ein Mensch durch seine Rechtschaffenheit zum Heil gelangen würde, eigentlich auf die Erde kommen müssen und leiden sollen? Niemand ist dank seiner eigenen Verdienste in das Reich Gottes gelangt. Man sollte als Mensch folgendes begreifen: Erstens, dass man zerrüttet und verdorben, gestürzt und verlogen ist und dass die Seele völlig entstellt ist usw. Zweitens sollte man sich durch eigene bittere Erfahrung davon überzeugen, dass man es aus eigener Kraft nicht schafft, sein Leben auf rechte Bahnen zu lenken, auch wenn man in einem fort gegen seine Verdorbenheit ankämpft und seinen gefallenen Zustand beweint. Drittens sollte man sich an Gott wie der Zöllner wenden: „Gott sei mir Sünder gnädig. Ich gehe zugrunde, ich ertrinke im Meer meiner Sünden, Herr Jesus Christus, errette mich, wie du alle gerettet hast, die sich an dich gewandt haben: die Räuber, Zöllner und Buhlerinnen u. ä.“. Gott ist die Liebe. Aus Liebe zu dem gefallenen Menschengeschlecht hat der Herr nicht gezögert, ein großartiges Opfer zu vollbringen: Gott der Vater sandte seinen Sohn, damit dieser die Qualen des Kreuzes erdulde. Gott der Sohn ertrug gehorsam den Tod am Kreuz und Gott der Heilige Geist scheut sich nicht, in die sündige Seele eines Menschen hinabzusteigen, diese zu reinigen und zum Heil zu geleiten. Was kann der Herr noch mehr für unser Heil tun? Ich schwöre es bei mir selbst, sagt der Herr, ich möchte nicht, dass ein Sünder zugrunde geht. Möge er leben, wenn er sich denn an mich wendet. So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen Eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern das Ewige Leben habe (Joh. 3,16).

Dies bedeutet also, dass für jeden Einzelnen, der an Christus glaubt und diesen bittet, dass er ihn von der Sünde und den ewigen Qualen erlöse, das Heil bereitet ist. Der Herr verspricht Vergebung und Barmherzigkeit, wenn man vor ihm seine Sünden bereut. Wenn wir um etwas bitten, dann wird es uns auch unbedingt gegeben werden, so hat es der Herr selbst gesagt. Die gesamte Welt ist durch Gottes Wort geschaffen worden. Durch sein Wort bewahrt die Welt ihre Ordnung und verkommt nicht im Chaos. Dieses Wort ist es auch, das die Vergebung der Sünden sowie das Ewige Leben für alle die verspricht, die glauben und Buße tun. Bekräftigt wird es dadurch, dass der Sohn Gottes Fleisch geworden ist und am Kreuz gelitten hat.

An all dies glaubst du. Wie kannst du denn dann wegen deines Seelenheils in Verzweiflung geraten? Wie kannst du es für möglich halten, dass der Herr dir Leiden schickt, sei es hier oder nach dem Tode, die deine Kräfte übersteigen? Nein! Dem ist nicht so! Dein Zustand, deine Krankheit, deine Depression und deine Traurigkeit usw. sind vom Teufel. Reiche ihm nicht die Hand, sondern vertreibe alle solche Gedanken durch die Anrufung des Namens des Herrn Jesus Christus bzw. das Gebet des Zöllners. Danke Gott für alles: für seine Liebe zu den Menschen, für seine Geduld mit deinen Sünden, für seine Barmherzigkeit mit dir und allen. Danke ihm auch für deine Krankheit. Danke ihm für alles und vertraue dich seinem Willen und seiner Barmherzigkeit an! So wirst du Erleichterung erfahren.

Du leidest, weil du wenig Glauben hast. Du richtest alle deine Aufmerksamkeit auf dich selbst und deine Sünden. Dabei denkst du nur wenig an die Liebe Gottes. Tu es genau andersherum! Gedenke zuallererst und immer der Barmherzigkeit Gottes! Denke an seine Leiden am Kreuz, die er um unseres Heils willen auf sich genommen hat, und denke erst dann an deine Sünden. Mögen deine Sünden dich dazu veranlassen, das Gebet des Zöllners zu sprechen und noch mehr zu beten, nicht aber, um in Verzweiflung zu geraten.

Sei weise. Verfalle nicht dem Betrug des Feindes. Verachte sie, lasse dich nicht auf sie ein, sondern gedenke stets des Herrn, der uns rettet. Möge der Herr dir Einsicht geben, hier, wie auch im zukünftigen Leben.

***

 Wir befinden uns fast alle in der Lage eines Menschen, der auf einem Bild ein festliches Mahl dargestellt sieht: der Tisch ist mit Gerichten gedeckt, doch wir selbst bleiben hungrig. Das Brot eines Anderen kann uns nicht satt machen. So aber lesen wir das Wort des Herrn und die Heiligen Väter! So aber beten wir auch in den meisten Fällen! Wir wiederholen einfach nur die Worte, die andere formuliert haben. Unsere Seele jedoch bleibt durstig und schwach. Sie ist nahe daran, ohne Nahrung zu sterben.

Wenn die Zeit kommt und unsere Taten auf die Probe gestellt werden, wird sich herausstellen, dass wir nichts aufweisen können und dass all das, was wir empfangen haben, unsere Talante, keinen Gewinn eingebrachten. Mehr noch, wir können selbst die erhaltene Gabe - zumindest so wie wir sie erhalten haben - nicht zurückgeben, denn wir haben sie wie der Verlorene Sohn mit unseren Sünden in der Hektik des Alltags verprasst. Und trotzdem wollen wir noch andere unterrichten. Was sind wir doch für arme Wesen! Was können wir nur tun? Wir sollten deshalb auf unseren Heiland, den Herrn Jesus Christus, hören!

Du fragst, wie du beten sollst? Der Herr Jesus Christus hat uns allen gesagt: „Bete, wie der Zöllner. Nähere dich dem Herrn wie sich die Witwe dem ungerechten Richter genähert hat“. Wiederum ist es der Herr, der uns lehrt: „Erkenne deine Armseligkeit und deine unbezahlte Schuld“. Mach dir dies bewusst und fühle deine Schuld vor dem Herrn. Vergiss alle deine guten Taten (denn wir haben keine guten Taten vorzuweisen, denn, auch wenn es sie gibt, sind sie doch besudelt mit verschiedenen unreinen Elementen wie Ehrsucht, Hochmut, Vorteilsversprechen usw.). Du solltest deshalb wie jemand, der seine Schuld nicht begleichen kann, so wie es der Verlorene Sohn getan hat, beim Herrn Barmherzigkeit erbitten, d.h. die Vergebung all deiner Sünden. Bitte um nichts anderes, nur um Barmherzigkeit.

Wenn ein Mensch in seinem Herzen spürt, dass seine Seele von Sünden befallen und ganz voller Wunden ist, wenn er sich völlig kraftlos fühlt, selbst etwas für seine Heilung zu tun, wenn vor seinen Augen der Tod und die Qualen des Höllenfeuers erscheinen, dann bleibt nur eine Hoffnung, ein Zufluchtsort! Das ist unser Heiland und Herr Jesus Christus! Bis zu diesem Zeitpunkt schien er sehr fern von uns zu sein, vielmehr waren wir sehr fern von ihm. Jetzt aber ist er der einzige Retter, der vom Himmel herabgekommen ist, um uns zu erlösen. Er hat unsere Sünden, für die eigentlich wir gerade stehen sollten, auf sich genommen. Er hat aber auch alle Konsequenzen unserer Sünden ertragen und verdeckt in seiner Liebe zu uns unsere Übertretungen. Er hat all denjenigen, die an ihn Glauben und Buße tun, versprochen, dass er ihnen vergeben, ihre Seele und ihren Leib reinigen und die büßenden Sünder im Sakrament der Kommunion mit sich vereinigen wird - bereits hier auf der Erde als Vorgeschmack auf die ewige Vereinigung in der zukünftigen Welt. Er will uns zu Söhnen seines Vaters machen und damit Anteil geben an der ewigen göttlichen Herrlichkeit und Seligkeit. Das bedeutet Christentum! Das ist die Liebe Gottes und seine Barmherzigkeit zum gefallenen Menschengeschlecht.

Kummer, Enge und ewige Gewissensbisse, den Wurm, der niemals schläft, sowie Flammen im Herzen, die niemals verlöschen, haben alle die zu erwarten, die diese Liebe Gottes verachten und das Opfer Gottes für uns nicht auf rechte Weise zu schätzen wissen. Möge vor dem Kreuz Christi und der Liebe Gottes, die jeden Sünder durch Glauben und Buße zum Heil ruft, „alles Fleisch des Menschen in Schweigen, Angst und Zittern verharren“. Der Herr Jesus Christus ist in die Welt gekommen, nicht um sie, die sie in ihren Sünden zugrunde geht, zu richten, sondern zu erlösen.

Tut Buße, denn das Gottesreich ist nahe! Sünder, werdet euch eures kommenden Verderbens und eurer Schuld vor Gott bewusst! Sucht keine Rechtfertigung in euren guten Taten. Begreift eure Schwachheit und Kraftlosigkeit und dass ihr euch von euren vergangenen oder gegenwärtigen ja sogar zukünftigen Sünden selbst nicht zu befreien vermögt. Bittet den einen, der alles dies vermag und der einzig barmherzig ist, den Herrn! Denn er allein vermag es, uns zu erlösen. Er wird uns vergeben und reinigen und uns seine Kinder nennen. Er erleichtert unsere Leiden und vertreibt die Verzweiflung. Er errettet uns von dem Höllenfeuer und führt uns wie den Räuber, die Buhlerinnen und all die anderen Sünder in sein ewiges Reich. Das ist es, was “Buße tun” bedeutet. Amen.

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