Briefe an meine geistlichen Kinder. Teil 14

9. Februar 2022

Briefe an meine Geistlichen Kinder

IGUMEN NIKON (WOROBJOW)

Briefe an Menschen in Kozelsk, die einen monastischen Weg gewählt haben

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Möge der Herr dir helfen, in diesem Sumpf zu leben und das Meer des Lebens zu überqueren, um an einem stillen Ort anzulegen. Wie schwer ist dies heute besonders für junge Leute. Bitte in allem um die Hilfe des Herrn und der Gottesmutter. Sei fest davon überzeugt, dass die gesamte Hölle einem Menschen, der aus der Tiefe seiner Seele nicht sündigen möchte, nichts anhaben kann. Denn die Hilfe Gottes wird immer mit ihm sein. Wenn sich aber ein Mensch selbst der Sünde zuneigt, mit ihr zunächst in Gedanken spielt und sie als Idee nicht sofort wie eine giftige Schlange vertreibt, dann findet der Feind mit Sicherheit einen Weg in das Herz dieses Menschen, und der Herr lässt es zu, dass dieser Mensch die Sünde auch tut. Aber auch für Hochmut und Stolz, ständiges und böswilliges Richten seiner Mitmenschen lässt der Herr einen Menschen der Sünde verfallen.

Deshalb sollten wir nüchtern auf uns achten und uns nicht in unseren Gedanken oder im Herzen für irgendeine Giftschlange erwärmen, um nicht von dieser am Ende gebissen zu werden. Nur durch Achtsamkeit und Zurückhaltung seiner äußeren Sinnen (Sehen, Hören und Berühren) sowie durch ununterbrochenes Anrufens des Namens Gottes können wir allen feindlichen Schmeicheleien standhalten und uns vor einer großen Sünde bewahren. Da unsere Natur von der Sünde verdorbenen ist und wird den Dämonen ausgesetzt sind, sollten wir alle in uns aufkeimenden sündigen Gedanken und Gefühle mit dem Namen Jesus Christus abtöten, bevor sie herangereift sind und Wurzeln geschlagen haben.

Es gibt keinen anderen Weg und keine anderen Mittel, sich selbst zu reinigen. Seid wachsam und betet ohne Unterlass, denn so werdet ihr es schaffen, allen Nöten zu entgehen, die uns wegen unserer sündigen Natur und der List der Feinde und deren Waffen bedrohen. Sei geduldig und scheue keinerlei Mühen! Kämpfe und reiche dem Feind nicht die Hand! Sei dem Herrn ergeben, denn dann wird auch er dir treu sein und dich nicht fallen lassen, selbst wenn sich die ganze Welt gegen dich verschworen zu haben scheint.

„Gott ist mit uns. Versteht dies, ihr Heiden, und ordnet euch unter, denn der Herr ist mit uns“. (aus einem Gesang des Spätabendgottesdienstes – A.d.Ü.) Möge der Herr dich segnen und bewahren.

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Wir haben heute, am Tag des Gedenkens an die Enthauptung Johannes des Täufers, deinen Brief bekommen. Er ist so traurig und voller Verzagen, dass man denken könnte, dass man dich ins Gefängnis gesteckt hätte. Aber auch im Gefängnis sollte man nicht so hoffnungslos sein. Wie sich in der Natur das Wetter ständig ändert, so ändert sich auch in uns ständig etwas. Kann man etwa im Herbst, wenn es nass und regnerisch usw. ist, verzweifeln, auch wenn es manchmal wirklich nicht angenehm ist? Wir haben einfach Geduld, weil wir fest daran glauben, dass bald auch wieder der Frühling und der Sommer kommen werden. So wird auch bei dir auf deine Trübsal Freude folgen. In deiner Lage lassen sich, wie gewöhnlich bei Anfängern, zwei Zustände beobachten:

1) Die einen fühlen sich zunächst wie im Paradies, doch dann beginnt alles zu erkalten und sie tun sich mit allem schwer und werden traurig. Sie hören auf keine Ratschläge von anderen, hören auf, sich ihren Vorgesetzten zu unterstellen, und durchleben all das, was du gerade durchmachst. Entweder geht sie dann fort oder aber sie ertragen einfach, üben sich in Demut und gelangen durch Selbsterkenntnis in einen Zustand von demütiger Buße, weil sie sich bewusst sind, das Paradies verloren zu haben. Doch dann beginnen sie auf einmal, Gott und allen, die geholfen haben, dafür ständig zu danken, dass alles so gekommen ist.

2) Andere beginnen so wie du. Sie empfinden Trauer und Trübsal, sind mutlos und dreist. Sie sind bereit, wohin auch immer zu gehen, Hauptsache weg. Sie empfinden eine Abneigung allem Geistlichen gegenüber und benehmen sich grob zu ihren Mitmenschen. Sie hegen Träume und schmieden Ideen, alles aufzugeben.

So spricht mit uns der Feind unseres Heils, der mit einer ganzen Armee über einen Neuling herfällt, um nicht zuzulassen, dass dieser ins Reich Gottes, das in uns ist, gelangt. Deshalb kann der schwere Zustand, in dem du dich befindest und der - wenn auch in einem geringfügigen Maße - an die Qualen in der Hölle erinnert, aber auch von etwas Entgegengesetztem künden, nämlich dass, wenn es Höllenqualen gibt, dies auch bedeutet, dass folglich auch die unsagbare Freude und Seligkeit existieren, die, auch wenn sie „kein Auge gesehen, kein Ohr vernommen und das Herz eines Menschen nicht empfunden hat“ (1. Kor. 2,9), trotzdem in unserem Inneren verborgen sind. Dies ist das Gottesreich. Es ist uns geboten, zuallererst nach ihm zu trachten. „Suchet zuerst das Gottesreich und seine Gerechtigkeit“ (Mt. 6,31).

Wie aber suchen? So wie es alle gesucht haben: mit Glauben und Gehorsam, mit Beten und Erdulden aller äußeren und inneren Leiden, durch aufmerksames Beobachten seiner selbst und Kritik an sich. Man sucht es durch ständige Buße, denn aus ihr heraus wird Demut geboren sowie der Verzicht, seine Mitmenschen zu verurteilen. Mit der Demut kommt auch die Freude über den Heiligen Geist und das Reich Gottes. Du hast mit Leid und Trauer begonnen. Das ist gut so. Je weiter du kommst, umso leichter wird dir werden. Und du wirst immer mehr erreichen. Ich versichere dir, dass du schon jetzt von Zeit zu Zeit vom Herrn, der möchte, dass jeder Mensch zum Heil und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangt, Trost erfahren wirst. Der Herr lässt nicht zu, dass jemand über das Maß seiner Kräfte hinaus Versuchungen ausgeliefert wird.

Gedenke, dass es der Feind war, der dich angefallen hat, um dich von Anfang an daran zu hindern, dass du den Weg zum Heil einschlägst. Kämpfe deshalb immer wieder mit kurzen Gebeten (am beste mit dem Jesusgebet). Übe dich in Geduld und Arbeit und sei gehorsam. Das Wichtigste jedoch ist: gib dich nicht solchen Gedanken hin, wie gut du doch früher gelebt hast. Höre nicht auf sie, wenn sie dir einreden wollen, dass du auch zu Hause zum Heil würdest gelangen können und du deshalb dein Leben auch wieder selbst in die Hand nehmen könntest. Vertreibe diese Gedanken, denn sie sind es, die in deinem Herzen deinen trübsinnigen Zustand verursachen. Wenn du sie nicht vertreiben kannst, dann beginne daran zu denken, dass du auch für fünf oder zehn Jahre in ein Gefängnis hättest geraten können (was sehr leicht hätte möglich sein können). Zeichne dir das Bild eines solchen Lebens sehr deutlich auf, denn dann wird dir dein jetziges Leben im Vergleich dazu wie ein Paradies erscheinen. Man kann nämlich in deiner Situation in der Tat sehr leicht einen Fehler begehen, angeklagt werden und unter die strenge Aufsicht des Gesetzes geraten.

Der Herr hat Erbarmen mit dir gehabt, und jetzt danke ihm dafür und für alles. Das Wichtigste aber ist, dass er dich auserwählt hat, sein Freund zu sein. Hab Geduld, meine Liebe. Wenn du zu Ruhe kommst, wirst du dich und die Menschen um dich herum im rechten Licht sehen können. Denn zur Zeit stellt sich dir alles in einem falschen Licht dar. Es ist der Feind, der hier seine Finger im Spiel hat. Richte niemanden. Höre auf die, die älter sind, und tue, ohne aufzubegehren, was sie dir sagen. Wenn du freie Zeit hast, lies in betender Haltung den Psalter oder das Evangelium. Diese Bücher hast du auf jeden Fall. Bemühe dich überall und mit ganzem Herzen immer wieder das Jesusgebet zu praktizieren. Eine List des Feindes in deinem trübseligen Zustand könnte es sein, dass du andere Menschen kennenlernen möchtest, um mit ihnen zu reden und in leerem Geschwätz die Zeit zu verbringen.

Versuche aber lieber in Geduld und Gebet, voller Demut und Dank dem Herrn gegenüber deinen Zustand zu überwinden. Der Herr ist nahe. Er schaut auf dein Herz. Wenn du ihn nur ein wenig lieben würdest, dann würdest du dich über jede Möglichkeit freuen, ihm dein Leben zu weihen. Dann wärest du bereit zu ertragen. Erinnere dich an Johannes den Täufer und den Heiland, an die Gottesmutter, die Märtyrer und die Wüstenväter. Schau, wie sie gelebt haben! Was haben sie ertragen! Kann man etwa deinen Zustand und deine Situation auch nur ein wenig mit dem vergleichen, was sie getan und erlitten haben? Ließ die Lebensgeschichten der Heiligen! Wahrscheinlich habt ihr einige von ihnen. Vergleiche dich und deine Lage mit ihnen. Schreib mir ausführlich über alles, und ich werde versuchen, dir mit allen Kräften zu antworten. Gib dich nicht der Traurigkeit hin, meine Liebe. Der Herr ist mit dir und lässt dich nicht ohne Trost und Hilfe allein.

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