Briefe an meine geistlichen Kinder. Teil 17

2. März 2022

Briefe an meine Geistlichen Kinder

IGUMEN NIKON (WOROBJOW)

Briefe an verschiedene Personen

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Nun sind schon 10 Tage vergangen, seit ich Ihren Brief erhalten habe. Bisher habe ich mich noch nicht aufraffen können, Ihnen zu antworten.

Was ihre Sorgen bezüglich des österlichen Morgengottesdienstes betrifft, sage ich Ihnen, dass dem, der den Herrn liebt, alles zum Guten dient. Die Heiligen Väter sprechen davon, dass man das Reich Gottes nicht kommen sieht. Denn wenn wir besondere Freude im Geiste erwarten, dann kann es sein (und so ist es meistens), dass wir sie nicht empfinden. Die rechte Haltung der Seele ist von daher folgende: Man sollte sich keinerlei geistlichen Trostes für würdig halten. Mehr noch: der heilige Johannes Klimakos hat gesagt: „Mit der Hand der Demut weise die Freude, die dich überkommt, zurück, weil du ihrer unwürdig bist. Tu dies, um nicht der Verlockung zu verfallen und den Wolf statt den Hirten aufzunehmen“. Diesen Gedanken trifft man in verschiedener Weise formuliert bei den Heiligen Vätern. Alle Menschen neigen dazu zu sündigen, besonders, was die sogenannten kleinen Sünden betrifft, die uns aber deshalb nicht weniger Schaden als die groben zufügen. Niemand ist in der Lage, alles zu übersehen und mit eigener Kraft gegen diese Sünden anzukämpfen. Nur wenn man sich seiner Schwachheit bewusst ist, wenn man begreift, wie armselig und voller Sünden man ist, wenn man erkennt, wie unendlich man bei Gott in der Schuld steht, dann erwächst daraus ein endloses Weinen des Herzens (ein zerknirschtes Herz, das zu einem demütigen wird), wie es alle jene hatten, die Gott gefallen haben. Das ist die rechte geistliche Gesinnung, die einen Menschen vor dem Hinabstürzen in die Sünde bewahrt, die zu geistlichen Gaben führt und hilft, diese Gaben, wenn man ihrer dann gewürdigt worden ist, auch zu bewahren. Ein wahrer Asket, der in seinem Herzen keine Tränen vergießt, befindet sich in einem Zustand geistlicher Verirrung, d.h. in einer fälschlichen Gesinnung. Wenn er sich nicht darum bemüht, diese zu korrigieren, kann er in wahrer dämonischer Verirrung enden und zugrunde gehen. In unserer Zeit geschieht all dies in sehr undeutlichen Formen, doch es ist eine Tatsache. Bei den meisten, die sich um ein Leben im Geiste bemühen, kann man sagen, dass sie sich entweder zeitweise oder aber ständig in einem solchen Zustand geistlicher Verirrung befinden. Es handelt sich hier um eine sehr sensible Angelegenheit.

Der Erfolg eines geistlichen Lebens wird nicht daran gemessen, wie viel geistlichen Trost man empfängt, da dieser auch vom Teufel sein kann, sondern inwieweit man wirklich zu tiefer Demut gefunden hat.

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Ich wünsche Ihnen Frieden. Jeder Mensch liebt es gelobt zu werden. Von dieser Sucht ist wortwörtlich jeder Mensch zerfressen, angefangen in seinem äußerlichen Verhalten bis hin zu seinen geheimen Tiefen. Zugleich ist diese Sucht nach Anerkennung ein sehr giftiger Charakterzug, der es einem nicht erlaubt, in seinem geistlichen Leben voranzukommen. Es ist nötig, dass man seine Sucht zu Gefallen zurückdrängt, um sie dann ganz zu zerstören. Auf alle Fälle sollte man sich in dieser Hinsicht ständig beobachten und jeglichen Anflug dieser Sucht mit demütigem Herzen begegnen (aus tiefster Seele seufzen und sich an den Herrn wenden: „Herr, wieder hat dieser Drachen mich meinen Kopf erheben lassen“), sie voller Zorn vertreiben und zum Herrn rufen: „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, sei mir Sünder gnädig. Ich möchte diese Sucht zu Gefallen nicht, ich nehme sie nicht an, befreie mich von ihr und hilf mir, meine Sünden zu erkennen“. Lesen Sie über diese Ruhmsucht auch bei Johannes Klimakos nach, besonders in den Kapiteln: 5, 6, 7, 10, 11, 14, 17, 23-26, 31, 34, 38, 39, 41, 43, 45. Lesen sie auch über den Stolz, in den Kapiteln: 1, 2, 3, 5, 11, 16, 17, 20, 34, 38. Gehen Sie bei jeder Übertretung eines Gebotes, auch des geringsten, mit sich selbst in Gericht! Erlauben Sie sich nicht, sich selbst zu rechtfertigen. Gedenken Sie des Gebotes des Herrn: „So sollt ihr, wenn ihr alles, was euch aufgetragen war, getan habt, sagen: wir sind nur unnütze Knechte“ (Lk. 17,10). Wir aber erfüllen nicht nur nicht alle Gebote, sondern kein einziges der Gebote, wie es sich geziemen würde. Wir erfüllen nichts, sind aber trotzdem in einem fort dabei, uns zu brüsten und stolz zu sein. Möge der Herr Ihnen helfen, sich von diesem Drachen zu befreien! Doch ohne Mühe und aufmerksame Beobachtung seiner selbst, aber auch ohne Hilfe, die wir von Gott erbeten müssen, können wir diesen ärgsten und teuflischsten aller unserer Feinde nicht besiegen. Alle jene Anzeichen von der Sucht zu Gefallen, von denen Sie mir geschrieben haben, sind von sehr deutlicher und grober Natur. Es gibt viel feinere Formen. Wenn die Hilfe Gottes nicht wäre, dann könnte man hier in Verzweiflung geraten. Stützen Sie sich auf das Evangelium und auf das Beispiel des Herrn Jesus Christus selbst, um gegen die Sucht zu Gefallen anzukämpfen und zur Demut zu gelangen.

Hoffen Sie nicht auf sich selbst, hoffen sie auf den Herrn und dies nicht nur in großen Dingen, sondern auch in Kleinigkeiten. Wir können ohne den Herrn nichts wirklich Gutes und Sinnvolles für uns tun. Das was gut erscheint, erweist sich später – wie es Markus der Eremit ausgedrückt hat – als schädlich (alles, was wir getan haben, ohne zum Herrn gebetet, ohne ihn um seine Hilfe gebeten zu haben).

Sie schreiben: „Ich bitte um ihre heiligen Gebete“. Jene Gebete sind heilig, die aus einem von Ehrfurcht erfüllten, zerschlagenen und demütigen Herzen emporsteigen. Pharisäerhafte (stolze und ruhmsüchtige) Gebete dagegen sind nicht nur nicht heilig, sondern auch ein Greuel vor Gott.

Verzeihen Sie mir! Bemühen Sie sich um ihr Heil.

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