Briefe an meine geistlichen Kinder. Teil 2

22. Oktober 2021

Briefe an meine Geistlichen Kinder

IGUMEN NIKON (WOROBJOW)

Briefe an Menschen in Kozelsk, die einen monastischen Weg gewählt haben

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Lieber und tief verehrter Vater Meletij!

Wenn auch der Ratschluss Gottes vor uns verborgen bleibt, so hat doch der Herr seinen Heiligen viel Nützliches für uns, die wir uns um unser Heil bemühen, offenbart. Viele von ihnen haben davon nicht Weniges aufgeschrieben. Es dient uns heute zum Trost und zur Erbauung.

So erläutern uns jene Gottgefälligen, dass es in den Tagen vor dem Weltenende kein Mönchtum mehr geben wird. Es wird nur noch der äußeren Form nach existieren, nicht jedoch wirklich, denn niemand wird mehr, wie des dem Mönchsstand zukommt, innerlich mit sich zu ringen.

Diejenigen, die das Reich Gottes suchen, werden keine besonderen Taten mehr vollbringen. Das Heil erlangen kann man nur, indem man geduldig Leid und Krankheiten erträgt. Warum gibt es keine besonderen Taten mehr? Weil es die Menschen nicht mehr vermögen, demütig zu sein. Ohne Demut jedoch richten solche Taten nur mehr Schaden an, als sie Nutzen bringen. Sie können einen Menschen sogar ins Verderben führen, denn sie lassen jemanden sich als etwas Besonderes ansehen und bringen nur fälschliche geistliche Verzückung hervor. Nur unter Aufsicht von einem Menschen, der, was das Leben im Geiste betrifft, sehr erfahren ist, kann jemandem erlaubt werden, das eine oder andere, was das Gewöhnliche übertrifft, in Angriff zu nehmen. Doch solche erfahrenen geistlichen Väter gibt es nicht. Nur der Herr selbst kann jetzt das Zepter führen. Zum Teil können auch Bücher helfen, wenn sie denn wer hat und sie auch verstehen kann. Doch wie führt der Herr uns? Er lässt es zu, dass man uns verfolgt und beleidigt, dass wir Krankheiten erleiden und in einem lang andauernden Alter unsere Schwachheit als Last ertragen müssen.

Im Gleichnis vom Hausherren, der Knechte angestellt hatte, heißt es, dass diejenigen, die in der elften Stunde zur Arbeit eingestellt wurden, ebenso viel ausgezahlt bekamen wie die, die den ganzen Tag hindurch gearbeitet hatten. Die zuletzt Eingestellten bekamen ihren Lohn sogar noch früher als die anderen. Dieses Gleichnis kann auf uns Mönche von heute und diejenigen angewendet werden, die sich, nachdem sie ihr ganzes Leben verprasst hatten, nun auf die Suche nach dem Reich Gottes begeben haben. Der Herr ruft uns in seiner unfasslichen Barmherzigkeit in der letzten Phase unseres Lebens dazu auf, in seinem Weinberg zu arbeiten: allerdings durch geduldiges Ertragen der Leiden des Alters und durch das Erdulden von Krankheiten oder des Schmerzes, den wir wegen des Verlustes von uns nahestehenden Menschen oder deren Leiden empfinden. Wenn wir, ohne aufzubegehren, bereit sind, diese Lasten zu tragen, dann wird auch uns diese zeitlich gesehen kurze Periode unserer Mühen angerechnet, wie es bei den Arbeitern der elften Stunde der Fall war. Wir können einen Lohn erhalten, als ob wir uns das gesamte Leben abgemüht hätten. Mehr noch: Antonius der Große, Vater Ischirion und andere behaupten, dass diejenigen, die sich in den Tagen vor dem Weltenende um ihr Heil bemühen, wenn sie ohne zu murren geduldig ihre Leiden ertragen, in viel größerer Weise verherrlicht werden als die alten Wüstenväter.

Der Heilige Seraphim von Sarow, der viele Wunder vollbracht hat, hat in Übereinstimmung mit den Heiligen Vätern gesagt, dass, wenn ein Mensch wissen würde, welche Seligkeit demjenigen bereitet ist, der sich um sein Heil bemüht, dann würde er bereit sein, tausend Jahre in einer engen Zelle zu leben, die voller Ungeziefer ist, das an seinem Körper nagt, um nur nicht die Seligkeit der zukünftigen Welt aufs Spiel zu setzen. Erwerbt eure Seelen durch Geduld. Möge der Herr euch helfen, das Kreuz, das euch gesandt ist, zu tragen. Amen.

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