IGUMEN NIKON (WOROBJOW)
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Ich möchte Ihnen wegen ihres Satzes schreiben: „L. hat einen Teil ihrer Aufgaben beiseite gelegt. Es ist jetzt leichter. Der Unterricht im Rechnen kommt schlecht voran“. Ich erinnere mich, dass ich Ihnen etwas zu diesem Fach geschrieben habe. Ich werde Ihnen nicht meine Meinung dazu schreiben. Wenn alle Gebote in zweien zusammenkommen: in der Liebe zu Gott wie auch zum Nächsten (die Liebe erreicht man, in dem man die Gebote, die das Evangelium nennt, erfüllt), dann ist es ebenso notwendig zu wissen, wie sich am kürzesten und am leichtesten diese Gebote erfüllen lassen. Ein Mensch, der ganz in der Welt lebt, kann sich dabei auf äußerlich rechtes Handeln beschränken. Für jemanden aber, der mehr sucht, ist neben dem äußeren auch noch inneres Tun notwendig. Der Herr selbst hat in zwei Worten gesagt, worin dieses besteht und was besonders in schwierigen Zeiten von Nöten ist: „Seid wachsam und betet“ (siehe Mk 13,33). Es ist nicht gesagt, in welchen Stunden wir beten und wachen sollten. Also immer. Wachen bedeutet zu verfolgen, was in einem vor sich geht, also seine Gedanken, Worte und Gefühle zu beobachten. Alles aber, was dem Evangelium widerspricht, sollte man mit Hilfe des Jesusgebets fortjagen, wodurch das zweite Wort erfüllt wird. Wenn man so verfährt, dann ersetzt dies alles andere, obwohl zur Erleichterung auch andere Dinge nicht ausgeschlossen sind. Sich ständig anzuhalten, das Jesusgebet innerlich zu sprechen, ist der beste Beweis dafür, dass ein Mensch beim Herrn sein möchte und seine Gebote erfüllen will. Sogar während des Gottesdienstes hat der Zöllner nur fünf Worte gesagt und ist gerechtfertigt von dannen gezogen. Die Heiligen Väter meinen, dass man alle Gebete durch das Jesusgebet ersetzen kann.
Man praktiziert es aber nur dann auf richtige Weise, wenn man es aus Reue heraus spricht, wenn sich in ihm unser betrübtes Herz ausdrückt, das die eigene Unwürdigkeit und Sündhaftigkeit beweint und sehr gut begreift, wie wir in einem fort die Gebote des Evangeliums übertreten. Ausdruck eines solch zerschlagenen Herzens war auch das Gebet des Zöllners. Denken Sie daran! Nicht die laute ständige Wiederholung des Jesusgebets führt zum Ergebnis, sondern nur dann, wenn es als Gebet gesprochen wird, in das sich unser zerschlagenes Herz ergießt. Dann erweckt es bald Rührung in uns, erwärmt das Herz und macht das Beten und alles andere leicht. Wenn man sich dazu anhält, den Geboten des Evangeliums äußerlich und innerlich nachzukommen, wenn man wacht und sich mit zerschlagenem Herzen im Jesusgebet übt, ist man damit im Besitz aller notwendigen und uns zur Verfügung stehenden Waffen, auf die wir auch in unserer heutigen Zeit zurückgreifen können. Wenn man so lebt, hält man sich als Mensch immer in einer geistlichen Spannung. Dafür sind keine Bücher, keine besonderen Wohnverhältnisse, ja nicht einmal gute Gesundheit von Nöten. Immer und überall (außer man vertieft sich in eine Aufgabe, die besondere Aufmerksamkeit erfordert) steht uns dieses Mittel zur Verfügung.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie dies begreifen mögen und es sich zur Gewohnheit machen. Stellen Sie sich eine kleine, ihren Lebensumständen und Kräften entsprechende Gebetsregel zusammen. Die übrige Zeit, tags und nachts, halten Sie sich an die Regel des Herrn Jesus Christus: seid wachsam und betet, denn damit können Sie allen künftigen Nöten entkommen, seien es materielle oder seelische.
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Verzeih, dass ich, nachdem ich deinen für mich so wertvollen Brief erhalten habe, lange nicht geantwortet habe. Ich fühle mich schwach und immer wieder denke ich an den Tod. Ich sehe, dass, auch wenn ich das Jahr 1963 noch erleben sollte, ich es doch nicht überleben werde. Ganz für mich persönlich gesehen, wünsche ich mir den Tod. Ich weiß, dass es ein zukünftiges Leben gibt, dass Gott mit uns, die wir an den Herrn Jesus Christus glauben, nachsichtig ist und dass deshalb auch für mich unzweifelhafte Hoffnung besteht, in ein ewiges Leben der Seligkeit, nicht aber in eines voller Qualen einzugehen.
Religiöses Empfinden gehört nicht der Psychologie an. Es ist ebenso real wie wir auch die physische Welt wahrnehmen. Das irdische Leben ist uns nicht dazu gegeben, um es zu genießen, sondern um sich und Gott zu erkennen. Ein Mensch sollte sich im Verlaufe des irdischen Lebens entscheiden und sich ohne zu schwanken entweder zum Guten oder zum Bösen wenden, zu Gott oder zum Teufel. Derjenige, der Gott und seine Gerechtigkeit sucht, wird Ihn, wie auch ein neues Leben bereits schon hier auf der Erde finden, als Keim dessen, was ihn dann nach dem Tod in aller Fülle umfangen wird. Ein Egoist, der auf der Erde nur Genuss sucht, wird nach dem Tod auf den Teufel als Einer seinesgleichen treffen und so auch im Reich des Teufels, in der Hölle, in Gesellschaft vollendeter Egoisten und Bösewichter enden. Unser zukünftiges Schicksal liegt in unserer Hand. Verzeih, dass ich vielleicht nicht das, was nötig wäre, schreibe. Ich bereue es, dass ich in diesem Sommer nicht zu euch gekommen bin und euch nicht gesehen habe.
Ich wäre gerne weiter von diesem Leben, von dem Geist dieser Welt, entfernt. Er hält die gesamte Menschheit gefangen. Nur quasi von außen lässt sich das gesamte Ausmaß an Scheußlichkeit und Grausamkeit dieses Geistes erkennen. Es gibt heute wenige Menschen auf der Erde, die sich vom Einfluss des bösen Geistes auf sie befreien können. Das ist furchtbar! Man sagt, dass ein Frosch, wenn er eine Schlange erblickt, sich von ihrem Anblick nicht losreißen kann. Er schreit zwar voller Grauen, kann aber nicht fortlaufen. So nähert er sich immer weiter der Schlange, bis er in ihrem Rachen ist.
In den Abendgebeten heißt es: „Hole mich, Herr heraus aus dem Rachen der verderblichen Schlange, die mich verschlingen will, um mich lebendig in die Hölle zu bringen“. Dies ist aus der Erfahrung heraus geschrieben. Alle diejenigen, die sich in der Sphäre des Geistes dieser Welt befinden, fühlen ihn nicht und glauben denen nicht, die sich bereits von ihm befreit haben.
Möge der Herr Sie segnen, von allem Bösen beschützen und Sie nach dem Tode in die ewige Seligkeit geleiten. Vielleicht werden wir uns in jener Welt wiedersehen.
Entscheiden Sie sich für Gott! Halten Sie sich in ihrer Seele und in ihrem Tun vom Teufel fern, sodass der Herr auch zu Ihnen sagen wird: „Die zu mir gekommen sind, werde ich nicht wegschicken“ (Joh. 6,37).