Briefe an meine geistlichen Kinder. Teil 3

29. Oktober 2021

Briefe an meine Geistlichen Kinder

IGUMEN NIKON (WOROBJOW)

Briefe an Menschen in Kozelsk, die einen monastischen Weg gewählt haben

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Lieber Vater Meletij!

Ich habe Ihren Brief erhalten. Verzeihen Sie mir, dass ich lange nicht geantwortet habe. Ich hatte viel Arbeit und war verreist. So ist nun schon eine geraume Zeit vergangen. Die Hauptsache jedoch ist, dass ich mich schwer tue, Ihnen zu schreiben, weil Sie viel erfahrener sind als ich. Sie haben mehr durchgemacht und wissen einfach mehr. Was für nützliche und tröstende Dinge kann Ihnen schon ein Mensch sagen, der sein gesamtes Leben in der Hektik des Alltags verbracht und sich dabei immer nach seinem freien Willen gerichtet hat? Doch da Sie mich bitten, versuche ich mit Ihnen das zu teilen, was mich immer wieder verwundern lässt und mich tröstet: Der unermessliche Kosmos ist von Gott geschaffen. Was für eine Macht und Stärke hat doch Gott?! Alles in dieser Welt – sei es im Ganzen gesehen oder in einzelnen Details (zum Beispiel im menschlichen Organismus) befindet sich in einer wunderbaren Harmonie. Wie muss die Weisheit Gottes dann sein?! Wenn alles in der Welt, was von Gott geschaffen ist, harmonisch ist, dann sollte (dementsprechend) auch innerhalb der göttlichen Eigenschaften eine solche Harmonie bestehen. So wie die Mächtigkeit Gottes und seine Weisheit sind, so ist auch «das Herz» Gottes, d.h. die Liebe Gottes. Diese unfassbare Liebe Gottes sehen wir in der Menschwerdung des Gottessohnes, unseres Herrn Jesus Christus, der bereit war, sich bespucken und ohrfeigen zu lassen, der es ertrug beleidigt zu werden und am Ende sogar sich kreuzigen ließ. Unbegreiflich und unendlich groß ist die Liebe Gottes. Die gesamte Welt der Engel war verwirrt, als sie sah, dass der Schöpfer der Welt aus Liebe zum gefallenen Menschengeschlecht Fleisch wurde und sich ans Kreuz schlagen ließ. Der Apostel Johannes verlautbart im Heiligen Geist, dass Gott die Liebe ist (1. Joh. 4,16) und dass Er sie, obwohl in einem unendlich großen Umfang, nicht nur einfach hat.

Die Liebe deckt alles zu, so wie es der Apostel Paulus sagt. Sie verdeckt unsere Sünden und unsere Fehler, unsere Schwächen und unsere Ungeduld, unser Aufbegehren und alles weitere.

Es genügt nur, dass jemand, der an Christus glaubt, sich seine Schwächen und Sünden eingesteht und um Vergebung bittet. Dann macht die Liebe Gottes ihn rein und heilt alle Wunden, die wir uns durch unsere Sünden zugefügt haben. Die Sünden der gesamten Welt gehen im Meer der Liebe Gottes unter wie ein Stein, den man in das Wasser wirft.

Deshalb sollten jegliches Verzagen, alle Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung in uns keinen Platz haben! Der Herr hat die menschliche Natur mit dem göttlichen Wesen verbunden und durch sein Blut die Sünden der gesamten an ihn glaubenden Menschheit abgewaschen. Er hat uns gefallene Menschen zu seinen Söhnen gemacht und ist in den Himmel aufgefahren. So hat er uns so zu Teilhabern am göttlichen Leben und der göttlichen Freude gemacht, an einer Freude, die kein Ende kennt.

Die hiesigen irdischen Leiden, die Krankheiten und die Last des Alters werden uns zu Freuden in der zukünftigen Welt gereichen. Wenn der Herr für uns gelitten hat, wie sollten dann nicht auch wir in geringem Maße ebenso an den Leiden Christi Anteil haben?! Unsere Seele, das Bild Gottes in uns, möchte an den Leiden Christi teilhaben. Nur unsere Kleingläubigkeit und Schwachheit fürchten sich davor, obwohl unsere Kräfte vielleicht ausreichen würden, um alles zu erdulden.

Und so sendet der Herr aus seiner Liebe zu uns jedem seiner Kraft entsprechende, ungewollte Leiden und Krankheiten, aber auch die Kraft, diese zu ertragen, um so auch uns an seinen Leiden teilhaben zu lassen. Wer hier nicht um Christi willen gelitten hat, den wird in der zukünftigen Welt das Gewissen plagen, wenn er sehen wird, dass er die Möglichkeit gehabt hatte, seine Liebe zu Christus zu zeigen. Er hätte sie beweisen können, wenn er bereit gewesen wäre, Leiden zu ertragen. Wenn er dazu aber nicht bereit war und vor jeglichem Leid geflohen ist, dann wird ihn sein Gewissen plagen.

Unser Gewissen wird uns quälen, wenn wir auf die Liebe Gottes zu uns nicht in entsprechender Weise geantwortet haben.

Lasst uns deshalb dem Herrn für all das, was er meint, dass wir es ertragen können, von ganzem Herzen danken. Er tut dies nicht aus Zorn zu uns. Nicht um uns zu strafen, schickt der Herr uns Kummer und Krankheiten, sondern aus Liebe zu uns, auch wenn dies nicht immer alle Menschen recht verstehen. Dafür ist es uns gesagt: seid für alles dankbar. Wir sollten uns deshalb mit ganzer Seele dem Willen Gottes anvertrauen, denn er möchte uns zum Heil führen. Er liebt uns und möchte, dass wir durch ein wenig Leid im irdischen Leben zur ewigen Seligkeit gelangen, zur Herrlichkeit derer, die die Seinen sind.

So möge es sein, so möge es mit uns alles geschehen. Amen.

Verzeihen Sie mir, mein liebes Väterchen, dass ich mich dazu habe hinreißen lassen, etwas zu schreiben. Möge der Herr in Ihrem Herzen Dankbarkeit Gott gegenüber erwecken sowie tiefe Ehrfurcht und völlige Hingabe an seinen heiligen Willen, die einhergeht mit der Bereitschaft, alles aus Liebe zu ihm zu erdulden.

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