Briefe an meine geistlichen Kinder. Teil 34

4. August 2022

Teilhabe am göttlichen Leben

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Gott wollte aus seiner Güte heraus um Sich herum vernünftige und freie Wesen haben, die an Seiner Göttlichkeit und Seinem Leben teilnehmen und an Seiner Natur Anteil haben (2 Petr 1,4). Dafür hat er die Welt der Engel geschaffen und dann auch den Menschen. Ein Teil der Engel hat seine Freiheit jedoch zum Bösen verwendet und wollte nicht in der Einheit mit Gott sein. Sie haben sich Gott entgegengestellt, sich im Stolz erhoben und sich so der Fähigkeit beraubt, am Göttlichen Leben teilzuhaben. Sie wurden deshalb vom Himmel verwiesen und gezwungen, auf der Erde herumzukriechen und ohne Gott zu sein, in ihren Leidenschaften zu brennen und sich von diesen zu nähren sowie für alle Tage ihres Lebens vom Staub der Erde zu fressen (Gen. 3,14).

Auch der Mensch ist gestürzt, wenn auch nicht so wie die früheren Engel. Schon vor der Erschaffung des Menschen hat der Herr vorausgesehen, dass der Mensch nicht in der Lage sein wird, Ihm immer treu und ergeben zu sein. Er hat gewusst, dass der Mensch die Gaben Gottes, wie beispielsweise das Leben in seinen charakteristischen Züge oder die Seligkeit im Paradies, nicht vollends zu schätzen weiß. Damit der Mensch diese Gaben aber zu achten lernt und den Herrn aus ganzem Herzen und mit ganzer Seele, mit alle seinen Gedanken und all seiner Kraft zu lieben beginnt, obliegt es ihm, einen besonderen Weg zu gehen, auf dem er ganz natürlich das Böse sowie diverse Leidenschaften und den Tod an sich ausprobieren kann, um so vollends zu begreifen, dass er, wenn er sich fern von Gott hält, immer Leiden wird. Der Mensch sollte so begreifen lernen, dass seine Seligkeit im Zwiegespräch mit Gott und seiner Liebe zu Ihm besteht.

Weiter sollte er aus eigener Erfahrung verstehen lernen, dass er selbst das Miteinander mit Gott nicht wiederherstellen kann. Dieses Miteinander ist nur möglich, wenn er sich von aller Besudelung seines Fleisches und seines Geistes reinigt. Die Erfahrung der Menschen über tausende von Jahren hat gezeigt, dass niemand sich selbst reinigen kann. Der Mensch, der nur auf seine eigene Kraft vertraut, muss im irdischen Leben unweigerlich fern von Gott sein und so auch nach dem Tod in der Hölle enden, ohne Gott.

Als die Menschheit dies endlich begriffen hat, hat der Herr etwas getan, bei dem der Himmel (die Welt der Engel) und auch die Erde (die sichtbare Schöpfung) zusammengezuckt sind. Um des Menschen und um unseres Heils willen ist der Herr Selbst vom Himmel herabgestiegen, hat durch den Heiligen Geist und die Jungfrau Maria Fleisch angenommen und ist Mensch geworden. Er hat es freiwillig auf sich genommen, verfolgt, bespuckt und geschlagen zu werden und ist am Kreuz gestorben, um den Menschen zu erlösen, nachdem Er sich mit ihm vereinigt und für ihn all das ertragen hat, was auch jeder Mensch ertragen sollte, um die Gemeinschaft mit Gott wiederherzustellen. Darin drückt sich eine solche Liebe Gottes aus, dass auch das härteste Herz durch diese Liebe weich wird und sich zu Gott hingezogen fühlt.

Um zum Heil zu gelangen, sollte der Mensch im Laufe seines Lebens an den Herrn zu glauben beginnen und seine eigene Sündhaftigkeit begreifen. Er sollte sich an den Herrn wenden und auf Dessen Liebe mit seiner Liebe antworten, wie auch diese beweisen, indem er nach Gottes Geboten lebt. Denn so macht er sich unfähig, seinen freien Willen gegen Gott zu richten. Er wird dazu unfähig, nicht weil er seinen freien Willen unterdrückt oder weil ihn äußere Umstände dazu anhalten, sondern weil er aus Liebe Gott ganz ergeben und von Dankbarkeit Ihm gegenüber erfüllt ist.

Wenn es irgendwelche anderen Wege zum Heil gibt, wie es einige Heilige Väter aus dem Grunde meinen, weil Gott allmächtig ist und deshalb einen Menschen auch auf anderen Wegen zum Heil führen kann, so meine ich doch, wenn ich von den Eigenschaften Gottes ausgehe, die Schlussfolgerung ziehen zu müssen, dass der von Gott aufgezeigte Weg der beste und kürzeste ist.

Das Ich, als Person, nimmt seine Existenz wahr, begreift sich als Zentrum von Allem und stellt sich als Subjekt allem gegenüber, was außerhalb seiner selbst und Objekt ist. Dabei ist dieses Objekt nicht nur die gesamte Schöpfung, sondern auch Gott. Von daher rührt die ständige Versuchung, sich selbst zu erheben und sich alles Objektive (und zu allem Schrecken auch Gott!) Untertan zu machen. Man neigt dazu, sich alles unterstellen zu wollen, als ob alles eine Fortsetzung des eigenen Ichs wäre. Je mehr Gaben ein Mensch in sich wahrnimmt, umso leichter verfällt er einem solchen Irrweg. Dabei „hilft“ ihm auch der Teufel, der endgültig eine ebensolche feindselige Haltung zu Gott und der Welt eingenommen hat.

Deshalb musste der Herr einen solchen Weg für den Menschen finden, dass dieser sich auch in der erneuerten Existenz nicht im Stolz überhebt wie der Teufel, sondern auf immer in der Liebe zu Gott gefestigt bleibt, sich Ihm auf immer unterordnet und nicht mehr die Möglichkeit besteht, von Ihm abzufallen. Da als Eigenschaft der Seele die Demut dem Stolz entgegengesetzt ist, messen das Wort Gottes, die Gottesmutter und die Heiligen Väter der Demut einen so hohen Wert bei. Ohne die Demut können einem Menschen auch keine besonderen asketischen Leistungen helfen. Es besteht immer die Möglichkeit, dass er dem Stolz verfällt und so von Gott abfällt. Nur die Liebe vereinigt den Menschen mit Gott, ohne Demut kann es aber auch keine Liebe geben.

Schlussfolgerung.

  1. Wenn ein Mensch allein mit dem Verstand zu verstehen versucht, warum Gott ein solches Mittel wie die Fleischwerdung des Herrn Jesu Christi zum Heil der Menschen erwählt hat, findet er keine logische Antwort und neigt zu der Auffassung, dass Gott auch auf anderen Wegen den Menschen zum Heil hätte führen können. Er hätte ihm einfach nur seine Sünden vergeben und ins Paradies einlassen können. In erster Linie gilt es hier mit den Worten des Apostels Paulus zu antworten: „Die göttliche Torheit ist weiser als die Menschen sind“ (1. Kor. 1, 25; siehe auch 1.Kor. 1,18). Folglich sollte der Mensch das Geheimnis der Menschwerdung des Gottessohnes im Glauben und mit Demut annehmen. Er sollte zugeben, dass dieses Mittel notwendig war und das beste ist.
  2. Wenn Gott selbst nicht Fleisch geworden wäre und nicht für uns gelitten hätte, dann hätten wir nicht ermessen können, wie stark die Liebe Gottes zum Menschen ist. Wenn wir oder unsere Liebsten stark leiden, wenn wir sehen, wie stark das Böse ist oder wie grausam und ungerecht es in dieser Welt zugeht, dann kann ein Mensch dies nur ertragen und sich damit abfinden, ohne seine „Eintrittskarte in diese Welt zurückzugeben“ (wie es Iwan Karamasow ausgedrückt hat), wenn er sich daran erinnert, dass Gott selbst, der Herr der gesamten Welt, dafür gelitten hat, damit das Böse zerstört wird und sich die Menschen, ohne diese in ihrer freien Entscheidung zu bevormunden, für das Reich des Guten und der Liebe begeistern.
  3. Wenn ein Mensch begreifen lernt, wie tief die Menschheit und er selbst gefallen sind, dann erkennt er seine Nichtigkeit, seine seelische Verdorbenheit und seine gänzliche Unwürdigkeit, das Reich Gottes zu betreten. Wenn ihm bewusst wird, dass er kraftlos ist und es für ihn keine Möglichkeit gibt, von selbst aus diesem Zustand herauszukommen, auch wenn er sich vorgenommen hat, ein neues Leben zu beginnen, wenn er deshalb in völlige Verzweiflung gerät und alle Hoffnung aufgibt, was viele der alten Heiden und der heutigen Atheisten dazu geführt hat bzw. dazu führt, entweder Selbstmord zu begehen oder Gott zu lästern, dann ist der einzige Ausweg aus dieser Lage der Glaube an Gott, der in die Welt gekommen ist und sich Selbst für unsere Sünden zum Opfer dargebracht hat, der das Lamm wurde, das die Sünden, die Scheußlichkeiten und die Verwesung dieser Welt auf sich genommen hat. Es ist ein Glaube, dass Er alle, die sich an Ihn mit zerschlagenen Herzen wenden, wegen ihrer Scheußlichkeiten nicht von Sich weist, sondern reinigt und wieder heil werden lässt, dass Er sie zu seinen Nächsten macht und alle ihre Unzulänglichkeiten mit Seiner Liebe bedeckt, dieser nicht weiter gedenkt und so verzweifelte Sünder zu seinen würdigen Söhnen macht. Wenn es die Fleischwerdung und die Leiden des Heilandes nicht gegeben hätte, wie sollten wir dann an die Möglichkeit einer solchen Liebe Gottes zu den Menschen glauben können? Nein, wir könnten es dann nicht glauben und würden in unserer Verzweiflung zugrunde gehen. Vielleicht würden wir auch in einen Zustand der Bosheit geraten, zu Feinden des Guten und zu Gegnern Gottes werden, wie der Satan. Nur die Menschwerdung und das Kreuz des Gottessohnes können die Menschen zum Heil führen, nicht aber irgendwelche anderen Mittel. Es ist notwendig, dass man durch eigene Erfahrung die Kraft des Bösen in sich und in der Welt erkennt, um das Opfer Gottes in seiner wahren Größe schätzen zu lernen und es für das Heil des Menschen als notwendig anzuerkennen.
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