Briefe an meine geistlichen Kinder. Teil 4

3. November 2021

Briefe an meine Geistlichen Kinder

IGUMEN NIKON (WOROBJOW)

Briefe an Menschen in Kozelsk, die einen monastischen Weg gewählt haben

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Liebes Mütterchen Valentina!

Ich danke Ihnen für ihre guten Wünsche und dass sie an mich denken.

Mehr und mehr beginne ich zu begreifen, wie tief die Menschheit gefallen ist und von dorther dann die Bedeutung unseres Heilandes und Herrn Jesus Christus. Keine Seele kann dank ihrer Werke zum Heil gelangen. Es gibt nur einen Weg: Christus. Er führt jene zum Heil, die an ihn glauben und begreifen, dass sie seiner zu ihrem Heil bedürfen, die sich selbst als Sünder sehen und sich des Gottesreiches für unwürdig halten. Zu solchen Sündern ist Jesus Christus gekommen, um sie um ihres Heils willen zur Buße zu rufen.

Der gesamte 2. Band der Werke des Heiligen Ignatius (Brjantschaninow) ist dem Gebet im Allgemeinen und dem Jesusgebet in Einzelnen gewidmet. Lesen Sie ein wenig die Sprüche der Väter in der «Vätersammlung» des Igantius (Brjantschaninow). Dieses Buch ist in der Tat sehr inspirierend.

Möge der Herr euch alle segnen, eure Gedanken lenken und trösten.

Ich wollte den Brief schon beenden, doch ich habe mich entschieden, ihm noch einige Worte hinzuzufügen.

Die gesamte Menschheit und jeder Mensch für sich genommen sind tief gefallen und verdorben. Selbst kann der Mensch sich aus diesem Zustand nicht heraushelfen, sich nicht retten und des Gottesreiches würdig werden. Nur der Herr Jesus Christus kann den Menschen auf rechte Bahnen lenken, denn dafür ist er auf die Erde gekommen. Er kann aber nur denen helfen, die an ihn glauben und ihre eigene Verdorbenheit oder, wie wir eher gewöhnt sind zu sagen, ihre Sündhaftigkeit begreifen. So hat es der Herr auch gesagt: Ich bin nicht gekommen, um die Gerechten zu rufen (d.h. all jene, die sich für gerecht und gut halten), sondern die Sünder zur Buße. Alle also, die ihre Verdorbenheit und Sündhaftigkeit sehen, die verstehen, dass sie es nicht vermögen, sich selbst aus ihrem Sumpf herauszuziehen, und sich deshalb an den Herrn Jesus Christus wenden, damit er ihnen helfe. Alle, die den Herrn anflehen, dass er sich ihrer erbarmen und die Wunden ihrer Sünden heilen möge, dass er sie vom Aussatz ihrer Seele befreien und ihnen den Eintritt ins Gottesreich gewähren möge, allein aus seiner Gnade heraus, nicht aber für irgendwelche guten Taten.

Derjenige beschreitet den geistlichen Pfad auf rechte Weise, der immer weitere Sünden in sich zu sehen lernt, bis er sich dann am Ende durch sein Vermögen, geistlich zu sehen, als ganz in Sünde gefallen erkennt, und begreift, dass seine Seele von Aussatz befallen ist. Er fühlt dann mit seinem ganzen Herzen, dass er nichts als Dreck und Unflat ist und deshalb auch nicht das Recht hat, den Namen Gottes anzurufen, sondern nur allein wie der Zöllner, der es nicht gewagt hat, die Augen zum Himmel zu heben, mit wehleidigem Herzen ausruft: „Gott, sei mir Sünder gnädig“. Ein Mensch, der in solch einem Zustand lange Zeit verweilt, geht aus diesem gerechtfertigt hervor, so wie auch der Zöllner gerechtfertigt aus dem Tempel getreten ist.

Wenn sich ein Mensch jedoch als gut empfindet und einige seiner einzelnen, ja sogar schweren Sünden für zufällig erachtet, wenn er meint, dass er an diesen eigentlich gar keine rechte Schuld trägt, weil eher äußere Umstände, andere Menschen oder Dämonen dafür verantwortlich seien, er selbst aber unschuldig ist, dann liegt er mit dieser seiner Sicht der Dinge falsch. Hier erkennt man eindeutig eine versteckte Verirrung im Verständnis des rechten geistlichen Pfades, vor der uns der Herr alle bewahren möge.

Um aber auf dem rechten Pfad zu schreiten, sollte man sich, sein Handeln und Tun, seine Worte, Gedanken und Wünsche usw. sehr genau beobachten und all dies mit den Geboten Christi vergleichen. Man sollte sich nicht selbst rechtfertigen, sondern vielmehr versuchen, sich selbst, so weit dies möglich ist, zu revidieren. Man sollte nicht andere zur Verantwortung ziehen und verurteilen, sondern vor dem Herrn Buße tun und vor ihm und vor den Menschen demütig werden. Denn dann zeigt der Herr einem, wie tief man gefallen und verdorben ist und wie tief man vor ihm in der Schuld steht. Der eine schuldet fünfhundert Dinare, ein anderer fünfzig. Trotzdem hatte beide nichts, um es zurückzahlen zu können. Es war nötig, dass der Herr in seiner Barmherzigkeit beiden die Schuld erlässt. Dies bedeutet also, dass es keinen Gerechten gibt, der nicht der Barmherzigkeit des Heilandes bedürfe.

Hier ist sie, die Weisheit Gottes! Ein eindeutiger Sünder kann eher zur Demut finden und somit zu Gott gelangen und gerettet werden, als einer, der äußerlich als ein Rechtschaffender erscheint. Deshalb hat auch der Herr Jesus Christus gesagt, dass die Zöllner und Sünder eher ins Gottesreich gelangen, als viele, die äußerlich als rechtschaffend gelten.

Dank der großartigen Weisheit Gottes helfen die Sünden und Dämonen dabei, dass der Mensch zur Demut und so zu seinem Seelenheil gelangt. Das ist der Grund, warum der Herr nicht geboten hat, das Unkraut aus dem Weizen zu entfernen. Denn ohne das Unkraut würde leicht Stolz entstehen. Gott aber stellt sich jeglichem Stolzen entgegen. Stolz und Hochmut sind für einen Menschen der Untergang.

Was ist nun die Quintessenz von all dem Gesagten? Begreift, wie schwach und sündig ihr seid! Urteilt über niemanden! Rechtfertigt euch nicht selbst! Übt euch in Demut! Dann wird der Herr auch euch, wenn die Zeit dazu gekommen ist, emporheben.

Gott sei uns Sündern gnädig. Verzeihen Sie mir und gedenken Sie meiner in Ihren Gebeten.

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