Vor kurzem bin ich auf eine kleine Geschichte – besser gesagt auf eine in Worte gefasste Skizze – gestoßen, die mir deshalb auffiel, weil sie sehr genau den Zustand eines Christen in unserer heutigen Zeit beschreibt. Dort stand folgendes geschrieben: Wir gleichen einem Menschen, der ein großes und wunderbares Gemälde betrachtet, auf dem ein üppiges Festmahl dargestellt ist. Alle erdenklichen Speisen, Weine, Tischdekoration und rund herum Bedienung – einfach wunderschön! Der Mensch schaut sich dieses Bild an, betrachtet es genau und bleibt doch hungrig.
So geht es auch uns Gläubigen. Wenn wir etwas über das Christentum lesen oder hören, so finden wir darin viel Vernünftiges, Gutes und Schönes, und in der Tat verspricht uns das Christentum so etwas wie ein üppiges Festmahl, wenn es davon redet, dass sich das Reich Gottes nicht irgendwo befindet, nicht in irgendwelchen luftigen Höhen, sondern ganz in unserer Nähe ist und nicht nur das, sondern quasi direkt bei uns ist, nämlich in uns. (Lk. 17,21) Ebenso zeichnen uns die Viten der Heiligen wunderbare Bilder, die uns zeigen, was das Reich Gottes wirklich ist und dass es in der Tat einem königlichen Festmahl gleicht, zu dem jeder Mensch geladen ist. So hat es auch der Apostel Paulus beschrieben: Kein Auge hat je gesehen, kein Ohr je gehört und in keines Menschen Herz ist je gekommen, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.(1. Kor. 2,9)
Christus jedoch beschreibt im Evangelium nicht nur einmal, wie die Menschen diesem königlichen Festmahl gegenüberstehen. Erinnern Sie sich an das Gleichnis von den zum Hochzeitsmahl Geladenen siehe (Mt. 22,1-8) - wie einer nach dem anderen der gerufenen Gäste geantwortet hat? Alle, die eingeladen waren, haben abgesagt!
Dieses Gleichnis ist verblüffend. Es ist nicht an irgendeinen konkreten Menschen gerichtet, sondern an jeden, der lebt – zu welchen Zeiten und in welchem Volk auch immer. Wenn sich auch Christus damals an die Menschen gewandt hat, die Ihn umgeben haben, und zu ihnen gesprochen hat, so bedeutete dies doch nicht, dass er nur sie gemeint hat. Das Evangelium ist – wie es einmal trefflich bezeichnet wurde – ein Buch der Ewigkeit und alles, was es enthält und was scheinbar zu den Menschen jener fernen Zeit gesagt worden ist, steht in Wirklichkeit außerhalb der Zeit. Das Evangelium ist ewig und spricht deshalb immer ins Heute.
Versuchen wir uns nun folgendes Bild vorzustellen: Es wird ein prächtiges Bankett gegeben und wir sind dazu eingeladen. ... Oh! Wie interessant, was gibt es denn dort? Wahrscheinlich würden wir wohl alle nichts wie hin wollen oder etwa nicht? Natürlich. Der Heilige Johannes Klimakos nennt die 14. Stufe seiner „Stufenleiter“ nicht umsonst: „Vom allseits berühmten Gebieter, dem üblen Bauch“. Es reicht aber aus, das Gespräch auf ein geistiges Festmahl zu lenken, zu dem uns das Evangelium ruft, und von all den geistigen Schätzen zu sprechen, die dem Menschen sowohl in seiner körperlichen aber auch seelischen Dimension vollendete Befriedigung verschaffen und ihm das geben können, was wir ganz allgemein unter Glück verstehen – dann stößt man sofort auf taube Ohren. Niemand möchte dorthin.
Wenn man aber verkündet, dass irgendwo Gold im Überfluss zu haben ist, machen sich alle dahin auf den Weg. Sie erinnern sich sicher an den Goldrausch in Amerika – gegenseitig bestohlen haben sich die Menschen damals und getötet und was nicht sonst noch alles dort getrieben wurde ... Sie können sich also vorstellen, was für einen Verstand wir Menschen haben (und wir können immer noch nicht glauben, dass er einfach nur dumm ist). Denn jeder vernünftige Mensch versteht sehr gut, dass ihm alles, was ihm heute gegeben wurde, mit Sicherheit auch wieder genommen wird. Der Tod macht um niemanden einen Bogen. Und dann ist da noch zu beachten, wie es einem wieder genommen wird! Je mehr wir uns von etwas haben fesseln lassen, umso leidvoller wird es, wenn wir es wieder hergeben müssen. Immer wieder lässt sich hier ein und dasselbe Beispiel anbringen: Werden wir etwa in Tränen ausbrechen, wenn wir einen Rubel verloren haben? Natürlich nicht! Doch können Sie sich an den Börsenkrach erinnern? Ein Mensch hatte damals hunderte Millionen verloren und sich in völliger Verzweiflung sofort den Strick um den Hals gelegt. Ja, was sollte er auch anderes tun! Vor dem Krach hatte er 500 Millionen und danach nur noch 200. ... Wie soll man denn damit überhaupt leben können! ...
Dabei müssen wir doch alle unsere gesamte Habe einmal abgeben. Wie heißt es doch so schön – „nackt bin ich von meiner Mutter Leib gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren“. (Siehe Hiob 1,21)
Jeder Mensch sollte sich deshalb einmal Gedanken machen, wie es denn überhaupt mit unserem Verstand steht, wenn wir fähig sind, im wahrsten Sinne des Wortes unsere ganze Seele dafür hinzugeben, all unsere Zeit und unsere Kräfte dafür aufzubringen und sogar vor Verbrechen nicht zurückschrecken, nur um etwas unser Eigen nennen zu können, was uns mit völliger Gewissheit wieder genommen werden wird. ...“ Ich bitte Sie, was ist das denn für ein Verstand?
Schauen Sie jedoch, was heute mehr als alles andere von Interesse ist: Spaß haben! Spaß zu haben, steht an oberster Stelle. Das Sich Vergnügen wird nicht nur zu einem wesentlichen Teil des Privatlebens sehr vieler Menschen (so war es eigentlich immer) – nein, es wird zum Herzstück der Politik, ja sogar der internationalen Politik aller sogenannten zivilisierten Staaten.
Hier ein einfaches Beispiel. Schauen Sie sich einmal an, wie viel Geld Menschen verdienen, die andere einfach nur unterhalten: Künstler und Sportler - und wie viel dagegen Lehrer und Ärzte, Bauern und Arbeiter bekommen, die in Wirklichkeit für unser Wohl sorgen – die einen für unser leibliches Wohl, andere für unsere Gesundheit, die uns erziehen und unterrichten usw. Stellen Sie beide Verdienste einmal nebeneinander und dann sehen Sie, dass hier schon nicht mehr die Sorge um das Wohl der Bevölkerung im Mittelpunkt steht, sondern ... .
Wir werden daran gewöhnt, ständig wechselnd unterhalten zu werden, nicht aber daran, das Leben ernsthaft anzugehen. Gerade haben wir miterlebt, wer wen gerade überholt hat, wer gegen wen ein Tor geschossen hat - und das war es dann. Es ist vorbei und wir suchen uns einen neuen Augenschmaus. Und so geht es immer weiter – ohne Ende. Und die Stunden verrinnen, die Tage vergehen und die Jahre fliegen davon und der Mensch steht schon bald vor seinen gescheiterten Hoffnungen. Krankheiten plagen ihn, das Altern ist nicht mehr aufzuhalten und der unbarmherzige Tod, zu dem er überhaupt nicht bereit ist, rückt immer näher. Dies ist die einzige unbestreitbare Realität unseres Lebens. Doch in unserer Zeit stellt man das Vergnügen in eine Reihe mit allgemeinmenschlichen Werten. So wird die primitive Forderung nach „Brot und Spielen“ der Massen im Alten Rom wieder zum Wesentlichen des menschlichen Lebens.
Dabei denken wir gar nicht darüber nach, was für uns in Wirklichkeit von unverzichtbarem Wert sein sollte und was dagegen nur Seifenblasen sind, denen nicht nur kleine Kinder hinterherlaufen, sondern auch erwachsene Menschen, vernünftige (?) Männer und Frauen. Was für Verbrechen begehen Menschen und was für Energien bringen sie auf, um einzig und allein diese Seifenblase noch nicht platzen zu lassen! Ja, sie geben dafür sogar ihr gesamtes Leben hin!
Übrigens – das wollte ich noch sagen – vor nicht allzu langer Zeit, ich war gerade in die Akademie gekommen, trat ein Mönch aus der Sergius-Dreifaltigkeit-Lawra auf mich zu und übergab mir einen riesigen Band. Auf dem Umschlag stand geschrieben: „Russische Mönche auf dem Athos“, herausgegeben 2012. Es stellte sich heraus, dass man dieses Buch vom Athos aus direkt an mich geschickt hatte. Ich schlug es auf und schaute es mir an. Es ist in der Tat ein interessantes Buch, in dem eine Vielzahl von Lebensbeschreibungen von Mönchen zusammen mit ihren Gedanken bezüglich der Frage, wie man leben sollte, was zu tun sei und wie man zu all dem, was in der Welt geschieht, stehen sollte, zusammengetragen worden ist. Man fragt sich natürlich, was wohl Mönche, die fernab von der menschlichen Gesellschaft leben und deren Probleme nur sehr schlecht verstehen können, zu all diesen Fragen wirklich sagen können? Bei der Lektüre dieser Schriftensammlung kam mir unwillkürlich ein wunderbares Bild in den Sinn, das der Heilige Ignatius (Brjantschaninow) gebraucht hat. Er sprach von einem Barometer, das im Zimmer hängt und nicht draußen, aber trotzdem anzeigt, wie das Wetter draußen wird. Es ist ein interessanter Vergleich!