Der Beginn des Klosterlebens

18. Juli 2022

Der Beginn des Klosterlebens

Den Angehörigen der Großfürstin schien die drastische Veränderung des Lebens ihrer Gesundheit abträglich zu sein, und um sie vom Gegenteil zu überzeugen, beschloss Elisabeth Fjodorowna, dem Zaren ausführlich zu schildern, wie ihr Leben im Kloster verläuft:

„ ... morgens beten wir gemeinsam um halb acht in der Kirche, wobei eine der Schwestern die Gebete liest; um acht Uhr folgen die Stunden und die Typika. Zum Gebet gehen die, die frei sind von einer notwendigen Arbeit, die anderen kümmern sich um die Kranken oder nähen oder tun etwas anderes ... Wir haben wenige Patienten, da wir nur Patienten nehmen, um in der Praxis an verschiedenen Fälle zu lernen, wie man diese Kranken behandeln muss, worüber die Ärzte in ihren Vorlesungen theoretisch gesprochen hatten. Anfangs nahmen sie nur leicht erkrankte Patienten, jetzt immer schwierigere Fälle, aber Gott sei Dank ist unser Krankenhaus geräumig, hell, die Schwestern sind sehr engagiert bei ihrer Arbeit, und die Patienten erholen sich gut. Um halb eins gehen die Schwestern, angeführt von Frau Gordejewa, zum Essen, und ich esse allein in meinen Räumlichkeiten, das gefällt mir, und außerdem finde ich, dass es trotz des Gemeinschaftslebens noch eine gewisse Distanz geben sollte. In der Fastenzeit, mittwochs und freitags, servieren wir Fastenspeisen, zu anderen Zeiten essen die Schwestern Fleisch, Milch, Eier usw. Wie Sie wissen, esse ich seit vielen Jahren kein Fleisch mehr, und ich ernähre mich auch jetzt vegetarisch, aber diejenigen, die das nicht gewohnt sind, müssen Fleisch essen, besonders wenn sie hart arbeiten. ... Wir schlafen unsere acht Stunden, wenn jemand nicht länger aufbleibt als es sein sollte; wir haben gute Betten und wunderschöne kleine Zimmer mit bunten Tapeten und Gartenmöbeln. Meine Zimmer sind groß, geräumig, hell, gemütlich, auch mit Sommermöbeln bestückt. Alle, die mich besucht haben, waren davon begeistert. Mein Haus steht separat, dann kommt das Krankenhaus mit der Hauskirche, daneben steht das Ärztehaus und das Lazarett für die Soldaten, und schließlich noch ein Haus für den Priester, also insgesamt vier Häuser. Nach dem Mittagessen gehen einige an die frische Luft, dann machen sich alle wieder an die Arbeit. Teestunde ist um vier, Abendessen wird um halb acht eingenommen, dann folgen um acht Uhr die Abendgebete in meinem Gebetsraum und Schlafenszeit ist um 22:30 Uhr. Nun zu den Vorlesungen: dreimal in der Woche religiöse Unterweisung durch unseren Priester, dreimal wöchentlich halten die Ärzte medizinische Fachvorträge. Zwischen den Vorlesungen lesen oder bereiten die Schwestern sich vor. Bisher haben sie nur im Krankenhaus <...> einige praktische Fähigkeiten erworben. Batjuschkas Vorträge sind sehr interessant, einfach außergewöhnlich, weil er nicht nur ein tief religiöser Mensch ist, sondern auch ein ungewöhnlich belesen. Er beginnt mit der Bibel und endet mit der Kirchengeschichte und zeigt den Schwestern, wie und was sie sagen können und wie sie seelisches Leid lindern können. Du kennst Vater Mitrofan, er hat in Sarow einen guten Eindruck auf Dich gemacht, und in Orel haben sie ihn schlichtweg verehrt. Auch zu uns kommen viele von weither in unsere kleine Kirche und schöpfen Kraft aus seinen schönen schlichten Predigten und aus den Beichten. Er ist eine Persönlichkeit mit einem weiten Horizont. Er hat nichts von einem engstirnigen Fanatiker an sich, alles basiert auf grenzenloser Liebe zum Herrn und Vergebung - ein wahrhaft orthodoxer Priester, der strikt an den Wahrheiten der Kirche festhält. Für unsere Sache ist er einfach ein Segen (Gottes), denn er hat die notwendige Grundlage für die Stiftung gelegt. Wie viele kehrten zum Glauben zurück, begaben sich auf den rechten Weg, von vielen höre ich, wie dankbar sie für die große Gnade sind, ihn besuchen zu dürfen. Dies ist keine Übertreibung. Sie kennen mich gut genug, ich liebe einen ruhigen, tiefen Glauben und würde mir auf keinen Fall einen fanatischen Priester aussuchen. <...> Ich möchte, dass Sie beide und alle wissen, was ich schon oft gesagt und geschrieben habe: Ich habe meinen Frieden gefunden, und dieser vollkommene Frieden bedeutet zugleich vollkommenes Glück. <...> Nach und nach drehte sich mein Leben in diese Richtung. Dies ist keine momentane Einbildung, und es erwartet mich keine Enttäuschung: Ich bin vielleicht von mir selbst enttäuscht, aber ich mache mir keine Illusionen, und ich bilde mir nicht ein, dass ich nicht wie alle anderen bin. Ich möchte für Gott und in Gott arbeiten, für die leidende Menschheit, und im Alter, wenn mein Leib es nicht mehr zulässt, zu arbeiten, hoffe ich, dass der Herr es mir schenkt, im Frieden und im Gebet zu verweilen, um für die Arbeit, die ich begonnen habe, zu beten. Und dann werde ich das aktive Leben verlassen und mich auf jenes große Kloster, die ewige Wohnstatt, vorbereiten. Solange ich aber gesund und stark bin und so viel Leid um mich herum existiert, werden wir, indem wir den Spuren Jesu Christi folgen, gehen wir zu den Leidenden und indem wir ihnen beistehen, helfen wir Ihm. <...> Wenn du ein wenig Zeit findest, um mir zu antworten, schreib mir bitte und sag mir, ob du alles verstanden hast, und vielleicht fügst du deinem englischen Brief ein paar nette Worte auf Russisch hinzu, damit ich sie Vater Mitrofan vorlesen kann. Zum Beispiel, dass du an ihn glaubst und sicher bist, dass er mir helfen kann, wenn es dem Herrn gefällt, Prüfungen zu schicken. Siehst du, ich betrachte dich und Alix als meinen Bruder und meine Schwester und er sieht dich als seinen Herrn und Gebieter. Ich spüre, dass es ihn quält, dass du dich angeblich über mein Verhalten ärgerst und denkst, dass er mich dazu drängt, mit euch zu brechen und mich durch ein übertriebenes asketisches Leben und exorbitanter Arbeit zu ruinieren. Wobei all dies nicht der Wahrheit entspricht. Er nimmt mir die Beichte ab, läßt mich an den Heiligen Gaben teilhaben in der Kirche, erweist mir seine große Hilfe und gibt ein Beispiel durch sein reines, einfaches Leben, so bescheiden und erhaben in seiner grenzenlosen Liebe zu Gott und der orthodoxen Kirche. Nachdem du nur wenige Minuten mit ihm gesprochen hast, wirst du sehen, dass er ein bescheidener, reiner Mann Gottes ist, ein Diener Gottes in unserer Kirche. Er ist  noch nie mit der oberen Gesellschaft in Berührung gekommen, und erst jetzt begegnete er vielen seltsamen Schwächen, dem Laster, sich in alles einzumischen, und so weiter. Ein herzliches Wort der Zustimmung von Dir, seinem verehrten Herrscher, wird alle Sorgen vertreiben, und er hat diese Worte wirklich verdient.”

Dieser Brief überzeugte Zar Nikolaus II. und seine Frau jedoch nicht davon, dass die Großfürstin die richtige Wahl getroffen hatte und keiner Täuschung unterlag, was sie sehr verärgerte. Um Mutmaßungen und Irrtümer zu zerstreuen, schrieb sie erneut an den Zaren und versuchte, alle seine offenen Fragen zu beantworten. „Du schreibst über den Geist der Täuschung, dem man leider verfallen kann und über den wir oft mit Sergej gesprochen haben. <...> Von Natur aus bin ich ein zu ruhiger Mensch“, schrieb sie, „um mich in diese Richtung ablenken zu lassen, aber trotzdem sollte man immer auf der Hut sein, denn das Böse schleicht sich an, wenn du es am wenigsten erwartest. Eine andere Sache, über die du schreibst und die ich schlecht erklärt haben muss oder die du nicht ganz verstanden hast: "Du steuerst dich selbst,  stehst nicht unter dem Einfluss eines Priesters." Ich wollte sagen, dass ich mich nicht unter dem Einfluss des Priesters entschieden habe, so zu leben, wie ich jetzt lebe, weil ich mit ihm gesprochen habe, nachdem ich bereits alles wohl überlegt hatte. Die Leute glauben nicht, dass ich mich selbst, ohne Einfluss von außen, zu diesem Schritt entschlossen habe; Vielen scheint, ich habe ein nicht tragbares Kreuz auf mich genommen, und entweder werde ich es eines Tages bereuen und es abwerfen, oder ich werde unter seinem Gewicht zusammenbrechen. Ich habe dies nicht als Kreuz angenommen, sondern als einen Weg voller Licht, den mir der Herr nach dem Tod von Sergej gezeigt hat und der mir vor vielen, vielen Jahren in meiner Seele aufgeleuchtet ist. <...> Du kannst solchen „großen Umbrüchen im Leben“ nicht zustimmen, aber du verstehst, dass dies für mich überhaupt kein Umbruch ist, es ist allmählich gewachsen und hat jetzt Gestalt angenommen. Sehr viele von denen, die mich mein ganzes Leben lang schon kennen, waren überhaupt nicht überrascht, sondern hielten dies nur für eine logische Fortsetzung dessen, was früher begonnen hatte, und ich selbst habe es so verstanden. Ich war erstaunt, als ein ganzer Sturm losbrach: Sie versuchten, mich zurückzuhalten, mich mit Schwierigkeiten einzuschüchtern, und das alles mit soviel Liebe und Freundlichkeit - und dies in völliger Unkenntnis meines Charakters. Du schreibst: „Trotzdem finde ich, dass du in Deiner bisherigen Position doch mehr Gutes tun könntest.“ Ich kann nicht sagen, ob du Recht hast,und ich vielleicht falsch liege. Das werden uns das Leben und die Zeit zeigen. Und natürlich bin ich der übergroßen Freude, die der Herr mir gibt, unwürdig. Auf diese Weise zu arbeiten bin ich vielleicht unfähig, aber ich werde es versuchen, und Er, der die eine Liebe ist, wird meine Fehler vergeben, weil Er sieht, wie sehr ich mich bemühe, Ihm zu dienen. Es gab so viel Freude in meinem Leben, so unendlich viel Trost in der Trauer, dass ich mich danach sehne, anderen etwas davon zu geben. <...> Außerdem schreibst du: "Du sollst unter jemandes Führung stehen." Wie recht und gerechtfertigt dies ist. Bis jetzt habe ich leider noch keinen "erfahrenen Starzen" getroffen, aber im Frühjahr, noch vor Ihrem Brief, habe ich beschlossen, ihn zu besuchen. Er dient in der Nähe der Dreifaltigkeits-Sergej-Lawra in der Sosima-Einsiedelei. Sein Name ist Alexej, er hört nur samstags und sonntags die Beichte von Besuchern. Vater Mitrofan fährt zu ihm als zu seinem Beichtvater und holt sich bei ihm Rat, und es gibt eine Unmenge von Pilgern dort. Er ist wunderbar, ein wahrer Heiliger, aber ich fürchte leider, dass er bald ganz aufhören wird, die Beichte zu hören. Bevor unser Väterchen in mein Kloster kam, sprach er mit ihm und mit anderen Starzen – schließlich hatte er sich vorher immer bei den Starzen geistlichen Rat geholt -sie alle segneten ihn, diese Arbeit aufzunehmen, obwohl er wegen seiner Jugend Angst hatte. Du siehst also, dass der Herr unsere Sache durch den Priester gesegnet hat , zu dem die Menschen von weither um Trost und Unterstützung nach Orjol kamen, und jetzt beginnt sie allmählich. Ich finde eine große und berührende Unterstützung für mich selbst in persona dreier Äbte [insbesondere der Äbte German (Gomsin) und Gawriil (Syrjanow)]. Sie betrachten mich als die ihre, sie führen mich, was mir sehr hilft. Außerdem sind die Metropoliten Trifon (Turkestanow) und Anastasij (Gribanowskij) jetzt meine geistlichen Führer. Ich besuche sie und sie sprechen lange mit mir. Ich habe aber auch weltliche Mitarbeiter, deren Rat ich suche, also glaube bitte nicht, ich bilde mir ein, ich könnte alles alleine machen und entscheiden. Ich denke zuerst nach und diskutiere, und dann treffe ich als Vorsteherin eine Entscheidung im Glauben, dass der Herr mich erleuchten wird. <...> Ich habe große Angst, du könntest denken, ich wäre stolz, selbstzufrieden und würde fast platzen aus dem Bewusstsein, das ich etwas Großartiges mache. Oh, wenn du mich nur besser kennen würdest ... Ich weiß, Alix stellt sich vor, dass ich es erlaube, mich eine Heilige zu nennen. Das hat sie zu meiner Gräfin O(lsufjewa) gesagt. Ich, eine Heilige, nicht auszudenken! Wer bin ich denn? Keinen Deut besser, eher schlechter als die anderen. Wenn jemand Unsinn redet und übertreibt, ist es dann meine Schuld? Schließlich sagen sie mir das nicht ins Gesicht – sie wissen, dass ich Schmeicheleien wie ein gefährliches Gift hasse. Ich kann nichts daran ändern, dass man mich liebt, außer dass auch ich die Menschen liebe, und sie fühlen es. Ich tue für sie, was ich kann, und erhalte dafür Dankbarkeit, obwohl ich mich nicht darauf verlassen sollte. Nicht eine Minute lang denke ich, dass ich etwas Außerordentliches vollbringe – es ist Freude, ich sehe und fühle keine Trauer wegen der unermesslichen Barmherzigkeit Gottes, die ich immer empfunden habe. Ich sehne mich danach, Ihm zu danken.

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