Die Geschichte vom Glöckchen

18. April 2022

Die Geschichte vom Glöckchen

Im Teeladen waren immer Kunden, denn in Russland trinkt man gerne Tee. Neben Tee wurden im Laden Süßigkeiten verkauft. Es gab Fruchtgummi, Konfekt, französische Marmelade und natürlich süßes Gebäck. Den ohne sie ist der Tee kein Tee, und die Teerunde ist nicht dieselbe.

Die Verkäufer waren fröhliche Menschen, die Humor und gute Laune liebten. Sie schenkten ihren Kunden duftenden Tee ein und lächelten sie an, stets mit einem Spruch auf den Lippen: „Wer seinem Gast Tee anbietet, bringt ihm Respekt entgegen“, „Trink Tee und vergiß die Trauer“, „Mit Tee wird uns nicht langweilig, denn wir trinken sieben Tassen davon aus“, „Teetrinken heißt angenehm leben.”

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In diesem Laden lebte die wunderschöne Teefee. Es war eine feine Dame von großer Schönheit in einem langen roten Kleid. Sie flog mit einem durchbrochenen Regenschirm in den Händen durch den Laden und beobachtete jedes Teeblatt, das ihr anvertraut wurde. Sie prüfte, ob der Jasmintee gut roch und ob er sorgfältig mit Blütenblättern gemischt war, ob der Tee schwarz oder grün genug war und ob fahrlässige Leute holzfarbenes (nein, nicht diesen Horror!) Sägemehl in die Schachtel getan hatten.

An der Eingangstür zum Teeladen hing eine Metallglocke. Die Tür zum Geschäft öffnete sich und es klingelte laut. Und alle wussten sofort, dass ein Käufer gekommen war! Die Glocke war sehr fleißig und läutete von morgens bis abends.

Abends nach Ladenschluss flog die Fee zur Glocke und schüttelte sie sanft mit der Spitze ihres Regenschirms. Die Glocke läutete leise, und dieses Läuten erinnerte sie an ihre geliebte, ferne Heimat.

roten blumen

„Ach, Glöckchen, wie gern würde ich meine Heimat besuchen!“ Ich bin so einsam hier. Ich bin ganz allein, alle meine Feenschwestern haben sich in ferne Länder verstreut! Ich habe nicht einmal jemanden zum Reden. Das süße Gebäck ist dumm, es muß ja auch nur jemandem den Bauch füllen. Das Konfekt und der Kandis sind zuckersüß und immer schmeichelhaft. Nur du verstehst mich, und wenn ich dich höre, bin ich in Gedanken zu Hause!

„Ja, liebe Fee, ich verstehe Sie“, läutete die Glocke leise. “Ich fühle mich hier auch fehl am Platz. Ich gestehe Ihnen insgeheim, ich habe immer davon geträumt, eine Kirchenglocke zu werden, die in der Kirche auf der anderen Straßenseite läutet. Haben Sie sie läuten gehört? Ich habe keinen größeren Wunsch.” Die Fee sah überrascht die Glocke an:

„Aber du kannst niemals eine Kirchenglocke werden! Das ist doch offensichtlich! Tut mir leid, aber das sind dumme Träume. Träumen Sie besser von schönen, fernen Ländern! Die sind eher zu erreichen!”

Das Konfekt in den Schachteln und andere Süßigkeiten, die das Gespräch belauscht hatten, begannen, sich gegenseitig übertreffend hinter der Theke lauthals zu schreien: “Das sind dumme Träume! Das ist ganz offensichtlich! Dumme Träume! Wo hängt unsere Glocke und wo ist die Kirchenglocke? Du Dummkopf! Ha ha ha…”

Niemand unterstützte die Glocke an diesem Abend, und sie hing weiterhin an dem Seil in der Nähe der Tür.

Eines Tages riss das Seil und die Glocke fiel zu Boden. Der Angestellte hob sie auf und stellte es auf ein Regal neben den Teekisten. “Lassen wir sie eine Weile hier stehen. Wir können sie später wieder aufhängen.”, dachte er bei sich.

Die Glocke läutete nun nicht mehr, sondern beobachtete leise das Leben des Ladens und der Kunden.

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Eines Tages betraten zwei Jungen den Laden. Sie drängten sich schüchtern durch den Türrahmen und hatten Angst, sich der Theke zu nähern. Der Verkäufer rief sie zu sich: “Hallo, Jungs! Was wollt ihr? Kommt doch näher!” Die Jungen sahen sich um, gingen zur Theke und gossen ihren Schatz aus ihren verschwitzten Handflächen, ein paar Kopeken. „Onkel… wir würden gerne ein paar Süßigkeiten für unsere Lehrerin von dir kaufen. Unser Papa brachte sie ins Krankenhaus, weil sie plötzlich krank geworden ist. Und wir sind ihnen gefolgt.”

“Na, Jungs! Habt ihr selbst schon einmal Süßigkeiten gegessen?”, fragte der Verkäufer, indem er wie ein Vater die Köpfe der Jungen tätschelte. “Nein, Onkel, wir haben noch nie welche gegessen. Mama sagt, das ist etwas zum Verwöhnen und wir haben auch gar kein Geld dafür. Wir haben als Tagelöhner gearbeitet und ein wenig gespart, aber wir wollen, dass unsere Lehrerin schnell wieder erholt. “Haben wir genug Geld für Süßigkeiten, Onkel?”, fragen fast ängstlich die beiden Halbwüchsigen. “Nun, genug für ein paar Bonbons ... Ihr kauft also ein Geschenk für die Lehrerin? Na, sehr lobenswert!”, fuhr der Verkäufer fort und wog die bunten Bonbons ab. “Habt ihr eine große Schule?” “Nein. Nur zehn Schüler. Ich, Wanjatka, Korsunows, Schischkins und Lenotschka Woronowa. Niemand lernt mehr“, antwortete einer der Jungs.

Der Verkäufer übergab den Jungen eine Tüte Karamellbonbons und belohnte sie für ihre Bemühungen mit zwei Lutschern am Stiel.

“Hört zu, Kinder, gebt eurer Lehrerin die Glocke! Sie wird läuten, um euch zum Unterricht zu rufen und euch in die Pause gehen zu lassen. Jetzt werde ich sie noch mit einer roten Schleife verzieren. Das wird ein schönes Geschenk für sie sein, zusammen mit den Süßigkeiten. Und der Verkäufer nahm die Glocke aus dem Regal, band eine Schleife um sie und gab sie den Jungen.

rote Glocke

Die Jungs konnten ihr Glück kaum fassen, sie gingen mit zwei Kupfermünzen in der Tasche in den Laden und bekamen so viele Geschenke!

So landete die Glocke in der Dorfschule. Die genesene Lehrerin freute sich sehr über ein solches Geschenk und versammelte mit Vergnügen ihre Schüler mit ihrem Läuten zum Unterricht. Und die Glocke verfolgte sehr interessiert den Unterricht in der Schule . Sie wusste nun, wo sich auf der Karte die Heimat der Teefee befand, sie konnte buchstabieren und lernte, bis zehn zu zählen!

Aber das Bemerkenswerteste war, dass gegenüber der Schule eine Kirche stand und die Glocke vom Fenster aus die großen Glocken bewundern und ihrem schönen Läuten lauschen konnte.

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An einem regnerischen Herbsttag kamen viele Soldaten zur Kirche und begannen, die Kirchenglocken hinunterzuwerfen und mit Gewehren auf die Kirche zu feuern. Es waren keine Kinder in der Schule, nur die Lehrerin schaute weinend aus dem Fenster auf die am Boden zerbrochenen Glocken und bekreuzigte sich. Auch das Glöckchen weinte... Sie trauerte um ihre Schwestern, deren Abschiedsläuten ihr für immer in Erinnerung blieb.

Eine andere Zeit war gekommen. Die Glocken läuteten nicht mehr, Kartoffeln wurden in die Kirche gebracht und die Menschen wurden gezwungen, Gott abzuschwören. Aber geht das wirklich so einfach und schnell? Doch nur, wenn das Herz zusammen mit dem Glauben herausgerissen wird ...

rote Eier

Die frohen Festtage von Ostern waren gekommen. Aber niemand hatte es eilig in die Kirche zu kommen, denn sie war weg, und der Priester war nicht mehr da. Alle feierten Ostern zu Hause und beteten, so gut sie es eben vermochten.

Für Kinder in der Schule wurde dieser frohe Festtag zu einem regulären Schultag. Aber Kinderherzen wollten unbedingt einen Feiertag! Sie wollten allen sagen, dass Christus auferstanden ist, sich mit Ostereiern beschenken und ein Stück süßen Osterkuchen essen. Und die Lehrerin schlug vor, dass sie zu einem Trick greifen sollten. „Lasst uns alle zusammen einen Spaziergang durchs Dorf machen und unsere Glocke mitnehmen! Sein Läuten wird für uns das Läuten einer Kirchenglocke ersetzen. Wanjatka wird mit ihr schellen, und die Leute werden vermuten, dass wir ihnen zu Ostern gratulieren wollen.”

Und die Kinder gingen mit ihrer Glocke, die mit einem roten Band verziert war, die Straße hinunter, um den Dorfbewohnern zu gratulieren! Die Menschen rannten weinend und sich bekreuzigend aus ihren Höfen. Sie umarmten die Kinder und schenkten ihnen bunte Eier sowie Osterkuchen.</p

“Hallo, Wanjatka! Läute kräftiger! Damit es alle hören! Christus ist auferstanden!” riefen die Leute freudig.

Und die Glocke läutete lauter denn je! Sie beeilte sich, allen zu den frohen Feiertagen zu gratulieren! Sie läutete für all ihre misshandelten und zerbrochenen Schwestern, und sein Läuten erreichte den Himmel. Sie, das kleine Glöckchen, ersetzte am heiligen Feiertag die Kirchenglocken!

lenta

So wurde der Traum des Glöckchens wahr, das davon träumte, eine Kirchenglocke zu sein.

Übersetzung aus dem Russischen

Autor des russischen Originals: Natalja Bunde

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