Leben und Dienst zwischen zwei Revolutionen. Teil 6

12. Juli 2022

revolutionen

Das nächste Thema bedarf einer eigenen Untersuchung. Es geht um die Beziehung von Elisabeth Fjodorowna zur kaiserlichen Familie nach der Abdankung von Zar Nikolaj II.

In der modernen Literatur wird der Großfürstin vorgeworfen, die Beziehungen zur Zarin Alexandra Fjodorowna im Dezember 1916 wegen G. E. Rasputin abgebrochen zu haben und

sie stellte sie nach der Februarrevolution nicht wieder her. Vielleicht basieren die Anschuldigungen auf den Erinnerungen von Großfürstin Maria Pawlowna Jr., die vorgeschlagen hatte, einen Brief an die kaiserliche Familie zu übermitteln, worauf Elisabeth Fjodorowna ziemlich scharf antwortete, “dass sie ihrer Schwester nichts zu sagen habe, sie würden sich schon lange nicht mehr verstehen“. Allerdings ergibt sich beim Vergleich von Informationen aus weiteren Quellen ein anderes Bild.

Zunächst einmal bezeugen mit Ausnahme von Großfürstin Maria Pawlowna Jr. viele Menschen aus dem Umfeld der Großfürstin das tiefe, innige Mitgefühl von Elisabeth Fjodorowna mit der kaiserlichen Familie: Igumen Serafim (Kusnezow), Erzbischof Anastasij (Gribanowskij), Fürst F. F. Jussupow, Jr., Erzpriester Mitrofan Srebrjanskij.

Darüber hinaus führte der Bruch der Beziehungen zu Alexandra Fjodorowna nicht zu einem Bruch mit anderen Mitgliedern der kaiserlichen Familie. Am Neujahrstag 1917 schickte Elisabeth Fjodorowna traditionsgemäß ein Telegramm an den Herrscher, in dem sie ihre

Liebe für ihn und Russland ausdrückte sowie ihrer Gebete versicherte: „Gott segne dich, geliebter Nicky, und schenke dir, deinem Land und deiner Familie alles Gute – so lautet das stets ergebene Gebet deiner lieben älteren Schwester Ella. Bitte nimm die Ikone von Hl. Seraphim mit ins Hauptquartier, die Ikone vom Hl. Spiridon, der bei allen Schwierigkeiten hilft, die uns der Herr zumutet, habe bitte immer bei Dir. Im Gebet stets verbunden. Ella. 1916-1917“. Elisabeth Fjodorowna schickte auch Neujahrskarten mit Segensworten an die Großfürstinnen Olga, Tatjana und Maria. Weitere Postkarten der Großfürstin an ihre Nichten, die Großfürstinnen Tatjana und Maria, aus dem Jahr 1917 werden ebenfalls im Staatsarchiv der Russischen Föderation aufbewahrt. Nach den darin enthaltenen Zitaten aus dem Osterkanon zu urteilen, wurden sie an den Ostertagen verschickt (1917 wurde Ostern am 2. April gefeiert). Tatsächlich stand Elisabeth Fjodorowna im Frühjahr 1917 in Korrespondenz mit ihren Verwandten.

Gräfin Tolstaja bezeugt auch die Existenz einer Verbindung mit der kaiserlichen Familie nach dem 2. März. Aus ihrer Zeugenaussage während der Ermittlungen der Weißen Garde zum Mord an den Mitgliedern des Hauses Romanow in Alapajewsk (1918–1919) geht hervor, dass der Herrscher vor der Thronabdankung vor „dem Bild des Erlösers im goldenen Gewand, das mit Edelsteine besetzt war. Auf der Rückseite befindet sich eine Plakette mit der Inschrift: „Lazarussamstag 1891“. Später übergab er dieses Bild zur Aufbewahrung an Elisabeth Fjodorowna. Im Oktober 1918 wurde genau dieses Bild auf der Brust der ermordeten Großfürstin gefunden, als ihre Leiche aus dem ehemaligen Schacht geborgen wurde. In den Ermittlungsakten wurde nicht nur die Beschreibung der Ikone aufbewahrt, sondern auch ihr Foto, aus dem geschlossen werden kann, dass es sich um dasselbe Bild handelt, das Elisabeth Fjodorowna wiederum von Kaiser Alexander III. am Tag ihres Übertritts zur Orthodoxie, am Lazarus-Samstag 1891 als Geschenk erhalten hatte. Somit ist diese Ikone eine Art Symbol der spirituellen Einheit von Elisabeth Fjodorowna und Nikolaj II, die alle Differenzen überwand.

Es sind Beweise erhalten geblieben, die von Schritten seitens Elisabeth Fjodorownas zeugen und auf eine Aussöhnung mit ihrer Schwester Zarin Alexandra Fjodorowna abzielten. Der Eingang des Briefes der Großfürstin ist aus dem Tagebucheintrag der Zarin vom 24. September 1917 bekannt. Wahrscheinlich schrieb Alexandra Fjodorowna diesen Brief an A. A. Wyrubowa (23. Januar 1918, Tobolsk): „Ich habe seit einem Jahr nichts mehr von meinen beiden Schwestern und meinem Bruder gehört. Im Sommer nur einmal von meiner Schwester ... ". Der erste Satz bezieht sich offensichtlich auf die Prinzessin Irene von Preußen, Prinzessin Victoria von Battenberg und Großherzog Ernst Ludwig von Hessen, die im Ausland lebten. Der nächste Satz bezieht sich auf den Brief von Elisabeth Fjodorowna. Bekannt ist auch, dass die Großfürstin im Mai 1918 ein Päckchen an die königliche Familie schickte, in dem sich Kaffee und Schokolade für Alexandra befanden und dass sie im Gegenzug ein Antwortschreiben mit Dankesworten von Großfürstin Maria Nikolajewna erhielt.

Lassen Sie uns abschließend auf die 1918 am Ort der Verbrennung der kaiserlichen Überreste in der Ganina-Grube bei Jekaterinburg entdeckte Kopie der Ikone der Allerheiligsten Gottesgebärerin “Die Thronende”eingehen. Die Verehrung dieser Ikone begann am 2. März 1917 am Tag der Thronabdankung von Nikolaus II., darin sahen die Orthodoxen ein Zeichen für die besondere Fürsorge und Schutz der Gottesmutter über Russland. Es wurde nachweislich überliefert, dass sich das Original der Ikone im Jahr 1917 einige Zeit im Martha-Maria-Kloster befand, wo sie vom Volk verehrt werden konnte.

P. N. Popow-Schabelskij hat aufgezeigt, dass Elisabeth Fjodorowna eine Kopie dieser Ikone der kaiserlichen Familie übergab.

Unserer Meinung nach bezeugen alle oben aufgeführten Fakten eindeutig den Wunsch der Großfürstin, Beziehungen zur Zarenfamilie aufrecht zu erhalten und sie in ihren Prüfungen zu unterstützen. Wir denken, dass in der damaligen Situation im Umkreis der Großfürstin

derartige Aktionen, wenn sie veröffentlicht worden wären, nicht nur ihrem Ruf, sondern vor allem dem Ruf des Martha-Maria-Kloster der Barmherzigkeit ernsthaften Schaden zugefügt hätten.

Zusammenfassend können wir sagen, dass sich Elisabeth Fjodorowna nach der Februarrevolution in der Rolle der in Ungnade gefallenen „ehemaligen“ Großfürstin wiederfand, die im Wesentlichen aus der Führung des von ihr geschaffenen Netzwerks karitativer Organisationen entfernt wurde.

Obwohl sie unter der Bewachung einer sogenannten "Schutzwache der Sondergarde" der Provisorischen Regierung stand, gab sie nicht nur nicht auf, sondern unternahm auch Schritte, um ihren Dienst für das russische Volk fortzusetzen. Einer ihrer wichtigsten Schritte war die Veröffentlichung der Loyalitätserklärung gegenüber der Provisorischen Regierung, die ihr erlaubte, das Martha-Maria-Kloster der Barmherzigkeit wie bislang weiterzuführen. Trotz der Gefahr einer Verschlechterung des Verhältnisses zur neuen Regierung stellte Elisabeth Fjodorowna eine Verbindung zur verhafteten kaiserlichen Familie her. Das Telegramm der Großfürstin über ihre Unterordnung unter die neue Regierung stellt also keinen Verzicht auf ihre Beziehung zur Zarenfamilie. Elisabeth Fjodorowna hat ihre Prinzipien nicht geändert. Die tatsächliche Weigerung, auszuwandern, zeugte von ihrem Wunsch, sich trotz aller politischen Umwälzungen weiterhin karitativ für das russische Volk einzusetzen.

Die Oktoberrevolution wurde zu einem neuen Wendepunkt im Leben der Großfürstin Elisabeth Fjodorowna, das neun Monate später auf dem Grund des Schachtes des Werchne-Sinjaschichinskij Bergwerks im Bezirk Alapajewsk in der ehemaligen Provinz Perm durch die Hände der Bolschewiki mit dem Tode endete. Unter dieser neuen Regierung war das Martyrium von Elisabeth Fjodorowna bereits unvermeidlich.

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