Hl. Athanasios der Große: Über die Menschwerdung des Wortes Gottes (3)

14. Dezember 2022

Hl. Athanasios der Große

DIE URSACHE UNSERER ERLÖSUNG

Wir haben uns vorgenommen, von der Menschwerdung des Wortes zu reden, aber jetzt behandeln wir den Ursprung der Menschen. Wenn wir von der Erscheinung des Heilands unter uns reden wollen, so müssen wir auch vom Ursprung der Menschen reden, um zu erkennen, dass unsere Schuld Anlass zu Seiner Herabkunft gegeben und unsere Sünde die Menschenliebe des Wortes Gottes herausgefordert hat, sodass der Herr zu uns kam und unter den Menschen erschien. Wir sind die Ursache Seiner Verleiblichung (ἐνσωματώσεως). Und um unseres Heiles willen offenbarte er seine Menschenliebe, wollte in einem menschlichen Leibe geboren werden und erscheinen.

So hat also Gott den Menschen erschaffen und ihn in der Unsterblichkeit belassen wollen. Die Menschen jedoch würdigten den geistigen Verkehr mit Gott wenig, kehrten sich davon ab, erdachten und ersannen sich die Bosheit und verfielen dem angedrohten Todesurteil. Jetzt sollten sie auch nicht mehr so bleiben, wie sie geschaffen worden sind, vielmehr sanken sie entsprechend ihrer Denkart immer tiefer, und der Tod wurde ihr Gewaltherr. Denn die Übertretung des Gebotes warf sie auf ihren natürlichen Urzustand zurück, sodass sie, wie aus dem Nichts geworden, so auch mit Recht nach Ablauf der Zeit den Verlust ihrer Existenz zu gewärtigen hatten. Denn wenn es in ihrer Natur lag, einmal nicht zu sein, und sie erst durch das Eingreifen und die Menschenliebe des Wortes Gottes ins Dasein gerufen wurden, so ergab sich als natürliche Folge, dass die Menschen mit dem Verlust ihrer Gottesvorstellung und mit ihrer Abkehr zum nicht Seienden - nicht Seiend ist das Böse, Seiend das Gute, weil ja vom Seienden Gott ausgegangen - auch ihrer ewigen Existenz verlustig gingen, das heißt aber, dass sie der Auflösung anheimfielen und im Tod und in der Verwesung verblieben. Tatsächlich ist ja der Mensch von Natur aus sterblich, da er aus dem Nichts entstanden ist. Doch dank seiner Ähnlichkeit mit dem Seienden hätte Er in dem Falle, dass Er sie mit einer richtigen Herzenseinstellung zu ihm bewahrt hätte, die naturgemäße Auflösung von sich ferngehalten und wäre unverweslich geblieben, wie ja die Weisheit sagt: „Die Beobachtung der Gebote ist die Sicherung der Unverweslichkeit“. Wenn aber unverweslich, dann hätte er fortan wie Gott gelebt, wie dies auch die göttliche Schrift zum Ausdruck bringt, wenn sie sagt: „Ich habe gesagt: Götter seid ihr und Söhne des Höchsten allzumal. Doch Menschen gleich sterbt ihr dahin und fallt wie einer der Fürsten“ ...

Da der Tod immer mächtiger wurde und das Verderben über der Menschheit lagerte, so ging das Menschengeschlecht dem Untergang entgegen, der vernünftige und nach dem Bilde Gottes erschaffene Mensch musste verschwinden und das von Gott geschaffene Werk verloren gehen. Denn, wie vorhin gesagt, der Tod gewann jetzt über uns gesetzliche Gewalt, und es war unmöglich, dem Gesetze zu entrinnen, weil es von Gott wegen der Sünde erlassen worden war…

Deshalb also kommt das körperlose, unverwesliche und immaterielle Wort Gottes in unsere Heimat, obschon er auch vorher uns nicht ferne stand. Denn kein Teil der Schöpfung ist von ihm leer gelassen; vielmehr hat er alles in allem erfüllt, indes er selbst bei seinem Vater blieb. Aber jetzt erscheint er und läßt sich zu uns herab aus Liebe zu uns Menschen, und zwar in sichtbarer Gestalt. Er sah das vernünftige Geschlecht zugrunde gehen und den Tod mit seiner Verwesung herrschen über die Menschen; er sah, wie auch die Strafandrohung für die Sünde uns im Banne des Verderbens festhalte und eine Befreiung daraus vor der Erfüllung des Gesetzes unangebracht wäre; er sah auch das Unziemliche, das im Falle des Unterganges der Wesen, deren Schöpfer er selber war, gelegen wäre; er sah auch die überflutende Bosheit der Menschen und wie sie diese nachgerade bis zur Unerträglichkeit zu ihrem eigenen Verderben steigerten; er sah endlich alle Menschen als die Beute des Todes. Deshalb erbarmte er sich unseres Geschlechtes, hatte Mitleid mit unserer Schwachheit, ließ sich herab zu unserer Vergänglichkeit, duldete die Herrschaft des Todes nicht, und um die Schöpfung gegen den Tod zu schützen und das Werk seines Vaters an den Menschen nicht vergeblich sein zu lassen, nahm er einen Leib an, und zwar keinen anderen als den unsrigen. Denn er wollte nicht einfach in einem Leibe Wohnung nehmen, und er wollte nicht bloß äußerlich erscheinen. Hätte er nur das wollen, so hätte er in einem anderen besseren Leibe als Gott erscheinen können. Aber nein! Er nimmt unseren Leib an, und zwar nicht auf einem beliebigen Wege, sondern von einer unbefleckten, makellosen und mit keinem Mann bekannten Jungfrau einen reinen, vom Verkehr mit Männern wahrhaft unberührten Leib. In seiner Macht und als Schöpfer aller Dinge bereitet er sich in der Jungfrau den Leib zum Tempel und eignet sich ihn als Werkzeug an, gibt sich in ihm zu erkennen und wohnt darin. Und so nahm er einen Leib an, dem unsrigen gleich, überantwortete ihn, da alle unter der Macht des Todes standen, anstatt aller dem Tode und brachte ihn dem Vater dar. Und das tat er aus Liebe zu den Menschen, damit alle in ihm sterben und so das Gesetz von der Verwesung der Menschen aufgehoben würde, da ja seine Macht am Leibe des Herrn sich erschöpft hat und bei den gleichartigen Menschen keinen Zugang mehr finden kann. Auch wollte er die Menschen, die in die Verweslichkeit zurückgefallen waren, wieder zur Unverweslichkeit erheben und sie vom Tode zu neuem Leben erwecken, indem er durch die Aneignung des Leibes und die Gnade der Auferstehung den Tod in ihnen wie Abfall im Feuer vernichtete.

Der Logos erkannte nämlich, dass das Verderben unter den Menschen nicht anders behoben werden könnte als durch seinen unbedingten Tod. Nun aber konnte das Wort Gottes, weil unsterblich und Sohn des Vaters, nicht sterben. Deshalb nimmt er einen sterbe-fähigen Leib an, damit dieser durch seine Teilnahme am Wort, dem alle unterstehen, zum Tod für alle geeignet würde, dank des einwohnenden Wortes unvergänglich bliebe und nunmehr für alle das Verderben in der Gnade der Auferstehung ein Ende fände. Daher hat er den Leib, den er angenommen, als eine Weihegabe und als ganz makelloses Schlachtopfer in den Tod gegeben und verscheuchte alsbald von allen seinesgleichen den Tod durch das stellvertretende Opfer. Denn weil erhaben über alle, hat natürlich der Logos Gottes mit der Hingabe seines Tempels und der leiblichen Werkstätte ein Entgelt für das Leben aller entrichtet und die Schuld in seinem Tod bezahlt. Und so bekleidete der unverwesliche Sohn Gottes, durch den gleichen Leib mit allen in Gemeinschaft getreten, natürlich auch alle mit der Unverweslichkeit - in der Verheißung der Auferstehung. Denn auch die Auflösung im Tode hat keine Macht mehr über die Menschen wegen des Logos, der unter ihnen in dem einen Leib gewohnt hat. Wie wenn ein mächtiger König in irgendeine große Stadt kommt und darin auch nur in einem Hause Wohnung nimmt, sicher eine solche Stadt aller Ehre gewürdigt wird und kein Feind oder Räuber sie mehr anfällt und unterjocht, wie ihr vielmehr wegen des Königs, der darin auch nur in einem Hause wohnt, alle Aufmerksamkeit geschenkt wird, so war es auch der Fall beim König aller Dinge. Denn damit, dass er in unsere Heimat kam und in einem unserem Leibe gleichen Körper wohnte, hat jede feindliche Nachstellung gegen die Menschen ein Ende genommen. Auch das Verderben des Todes, das ehedem unter ihnen wütete, war vorüber. Das Menschengeschlecht wäre verloren gewesen, wenn nicht der Herr und Heiland aller, der Sohn Gottes, gekommen wäre, um dem Tode ein Ende zu machen.

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