Briefe an meine geistlichen Kinder. Teil 26

7. Juni 2022

Briefe

IGUMEN NIKON (WOROBJOW)

Briefe an verschiedene Personen

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Du schreibst die ganze Zeit über deine Leiden, über die gegenwärtigen und die, die du noch erwartest. Was soll ich dir darauf antworten? Die Antwort gibt das Evangelium. Der Gottessohn hat sein leidvolles Leben am Kreuz vollendet, nachdem er aufs Schlimmste verhöhnt und geschlagen worden war. Für den einsichtigen Räuber - er steht für die Sünder, die Buße tun – war das Leben, nachdem er im Gefängnis saß, am Kreuz zu Ende. Der Räuber, der ins Verderben stürzte, ist durch die Schmerzen am Kreuz in die Welt ewiger Qualen eingegangen. Dieser steht für die gesamte Menschheit.

Es gibt sowohl in der moralischen Welt als auch in der sichtbaren Welt geistliche Gesetze. Das wichtigste von ihnen lautet, dass man „nur durch Leid in das Gottesreich gelangen kann“ (Acta 14,22). „Wer mir folgen will, verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Mt. 16,24). Hörst du das? Wer in der Nachfolge von Jesu Christi in das Gottesreich gelangen will, muss unter großen und lang andauernden Qualen in sich selbst alle üblen Äußerungen unseres „alten Menschen“ unterdrücken und diverse Leiden und Krankheiten ertragen. Die unendliche Weisheit Gottes sendet in ihrer Sorge um jeden einzelnen Menschen und seine Heilung, Reinigung und Erlösung jedem sein ganz individuelles Kreuz, welches seinem Charakter, seinen Eigenschaften und Kräften entspricht. Wenn wir ohne aufzubegehren unser Kreuz tragen und unsere Sünden büßen, wenn wir uns nicht für sie rechtfertigen, sondern, wie es der einsichtige Räuber getan hat, unser Kreuz annehmen, dann gelangen wir so in das Reich Gottes.

Wenn wir aber murren und gegen Menschen und Gott zürnen, dann verschlimmern wir unsere Qualen nur noch mehr. Dann haben wir keinerlei Hoffnung auf Erlösung, die unser Leid lindern könnte. Dann enden wir wie der böse Räuber. Es liegt in unserer Hand. Auch wir sollten deshalb einsichtig sein. Niemand kann seinem Kreuz entgehen. Wir sollten es uns deshalb durch unseren Glauben an den Herrn und durch unseren Kampf gegen die Sünde leichter machen. Es wird erträglicher, wenn wir Reue zeigen und unseren Mitmenschen vergeben, wenn wir geduldig unsere Leiden ertragen und zum Herrn beten. Die Liebe Gottes möchte das Heil für jeden und lässt deshalb keine Leiden zu, die unsere Kräfte übersteigen und nicht absolut notwendig sind. Leiden sind aber nötig. Dies begreifen kann ein Mensch jedoch nur, nachdem er sich in einem bestimmten Maße durch Buße innerlich gereinigt, von Sünden ferngehalten und das Wort Gottes gelesen hat.

Verzeih mir. Möge der Herr dich stärken, segnen und dich von allem Bösen beschützen.

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Was die innere Arbeit betrifft, möchte ich dir folgendes sagen: Bürde dir keine allzu großen Aufgaben auf und setzte dir keinerlei Fristen. Halte dich lieber stets vom Bösen fern und bemühe dich, die Gebote weder äußerlich noch innerlich zu übertreten. Versuche gute Dinge zu tun, auch wenn dies dir große Mühen und Kämpfe abverlangt. Versuche nicht immer das zu tun, wie dir gefällt, sondern wie es der Herr und seine heiligen Gebote gebieten. Denn es ist nicht umsonst gesagt, „dass man nur unter Mühen das Reich Gottes an sich reißen kann (Mt. 11,12). Zu all dem kommt noch hinzu: Übe dich im Ertragen von Leid und Krankheit.

Gott, der den Tot des Sünders nicht will, hat sich deiner auf große Weise erbarmt. Du warst geistlich deinem Ruin nahe. Nach dem Tode hätte dich der Abgrund der Hölle erwartet. Auf Worte hast du nicht gehört und konntest es auch nicht. Deshalb war ein hartes Mittel von Nöten, um dich von deinem Weg ins Verderben abzubringen. Der Herr war gezwungen, dir deshalb eine Krankheit zu senden[3].

Begehre von daher nicht gegen den Herrn auf. Verzage nicht! Danke Ihm vielmehr für seine Barmherzigkeit und Fürsorge, was dein Seelenheil anbetrifft. Es ist in der Heiligen Schrift gesagt: „Wen der Herr liebt, den züchtigt er. Er schlägt einen jeden Sohn, den er aufnimmt“ (Hebr. 12,6). Von daher bist du Gott nahe. Kränke ihn nicht, indem du Seine heiligen Gebote verletzt und durch deine Undankbarkeit gegen Ihn aufbegehrst.

Um Beten zu lernen, bei dem du nicht abgelenkt wirst, muss du zuvor vor Gott und den Menschen zu Demut gelangen und dich darin viel üben. Ohne Demut wird ein Mensch immer zerstreut sein. Verzage nicht und verzweifle nicht, sondern übe dich in Geduld. Warte und halte dich für unwürdig, irgendwelche Gaben zu erlangen. Denn in Wahrheit sind wir alle nicht nur der besonderen Barmherzigkeit Gottes unwürdig, sondern nicht einmal würdig, Seinen Namen auszusprechen.

Wenn es dir zum Nutzen gereicht, wird der Herr dein Leben verlängern. Ein Leben aber, das der Seele schadet, ist tausendmal schlimmer als der Tod, wenn dieser ins Reich Gottes führt. Ich bin froh, dass du deine Verbitterung über mich besiegt hast. Das lässt hoffen, dass du mit Gottes Hilfe die weltlichen Ansichten und Neigungen überwinden wirst, die uns von Gott fern halten. Besieg so auch alle die anderen Leidenschaften. Das ist nicht leicht, doch das ist der einzige Weg zum Heil. Gehe stets mit dir selbst ins Gericht und sage dir: „Der Herr weiß alles. Dies bedeutet also, dass alles, was mir wiederfährt, zu Recht so geschieht“. So wirst du Ruhe finden.

Betet für mich! Auch ich werde euer im Gebet gedenken. Bemühe dich, verzage nicht, hab Geduld und danke dem Herrn für alles.

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